Noreena Hertz hat einen lehrreichen Vortrag zum Umgang mit Experten auf einer TED Konferenz gehalten.
Sie hat sich die Frage gestellt „Sollten wir wichtige Entscheidungen aufgrund von Expertenempfehlungen treffen?“
Drei Ihrer Botschaften dazu waren:
- Wir sollten mehr unser eigenes Urteilsvermögen nutzen. (Faszinierend, dass wir es in der Umgebung von Experten scheinbar ausstellen.)
- Uns bewusst machen, dass auch Experten Fehler machen können.
- Wir sollten Expertenaussagen kritisch hinterfragen (z.B. unter welchen Bedingungen diese gelten).
Dennoch ist sie der Meinung, dass wir weiterhin Experten zu Rate ziehen sollten. Allerdings empfiehlt sie Experten eher wie einen Basar an Möglichkeiten zu betrachten. Man hört sich viele verschiedene Meinungen, Diagnosen, Urteile und Prognosen an, um sich selbst ein besseres Bild von der eigenen Lage zu verschaffen.
Als besonders wertvoll für Entscheidungsfindung benennt Hertz konstruktive Kritiker. Dies begrüßen wir gerade zum Thema Innovation. Denn für die Steigerung der Innovationsfähigkeit eines Unternehmens halten wir einen Provokateur für sehr hilfreich. Ein Provokateur ist nämlich jemand, der grundlegende Annahmen hinterfragt. Mehr dazu steht in unserem Artikel Die modernen Hofnarren.
Ich stimme Frau Hertz zu. Zu ähnlichen Ergebnissen bin ich selbst auch gekommen und habe sie in meinem aktuellen Buch „Feel it! Soviel Intuition verträgt Ihr Unternehmen“ unter der Überschrift „Anfängergeist – oder: Die Paradoxie der offenen Expertise“ beschrieben.
Eines allerdings hat Frau Hertz vergessen: Die bitter nötige Veränderung der Experten selbst. Sie spricht aus der Perspektive der Laien. Viele fundamentale Fehler und verhinderte Paradigmenwechsel kommen jedoch aufgrund der blinden Flecken der Experten zustande. Ein beeindruckendes Beispiel ist die Geschichte über die Entdeckung, dass Magengeschwüre nicht durch scharfe Speisen, Alkohol etc. sondern bakteriell verursacht werden. Die Welt der Fachärzte (in dem Fall der Gastroenterologen) weigerte sich rund 20 Jahre lang, die empirischen Forschungsergebnisse ihrer Kollegen auch nur ernsthaft zu prüfen, weil diese keine Fachärzte für Magen-/Darmerkrankungen waren. Und so wurden weiterhin Magengeschwüre operativ entfernt, obwohl diese heute antibiotisch behandelt werden.
Die Geschichte zeigt das Problem der Beharrungstendenz der Experten und dass wir auch an der Haltung der Experten selbst etwas ändern müssen. Und zwar dringend. Und da kommt der Anfängergeist ins Spiel. Mein Vorschlag: Auch und gerade Experten müssen in der Lage sein, ein Problem oder eine Aufgabe sowohl aus Expertensicht als auch mit den Augen eines Anfängers zu betrachten. Erst dann kann wirklich Neues entstehen. Und hoffentlich werden dann in Zukunft nicht mehr weiterhin tausende von Patienten unnötig anästhesiert und operiert.