Noreena Hertz hat einen lehrreichen Vortrag zum Umgang mit Experten auf einer TED Konferenz gehalten.
Sie hat sich die Frage gestellt „Sollten wir wichtige Entscheidungen aufgrund von Expertenempfehlungen treffen?“
Drei Ihrer Botschaften dazu waren:
Wir sollten mehr unser eigenes Urteilsvermögen nutzen. (Faszinierend, dass wir es in der Umgebung von Experten scheinbar ausstellen.)
Uns bewusst machen, dass auch Experten Fehler machen können.
Wir sollten Expertenaussagen kritisch hinterfragen (z.B. unter welchen Bedingungen diese gelten).
Dennoch ist sie der Meinung, dass wir weiterhin Experten zu Rate ziehen sollten. Allerdings empfiehlt sie Experten eher wie einen Basar an Möglichkeiten zu betrachten. Man hört sich viele verschiedene Meinungen, Diagnosen, Urteile und Prognosen an, um sich selbst ein besseres Bild von der eigenen Lage zu verschaffen.
Als besonders wertvoll für Entscheidungsfindung benennt Hertz konstruktive Kritiker. Dies begrüßen wir gerade zum Thema Innovation. Denn für die Steigerung der Innovationsfähigkeit eines Unternehmens halten wir einen Provokateur für sehr hilfreich. Ein Provokateur ist nämlich jemand, der grundlegende Annahmen hinterfragt. Mehr dazu steht in unserem Artikel Die modernen Hofnarren.
Das Beratungsunternehmen Booz & Company (jetzt Strategy&) analysiert jährlich die Unternehmen, die weltweit am meisten für Forschung und Entwicklung ausgeben. In ihrem aktuellen Bericht mit dem Titel How the Top Innovators Keep Winning zeigen sie, was diese Unternehmen tun, um in der Innovation erfolgreich zu sein.
Sie unterscheiden zwischen drei Ansätzen für die Innovation:
Need Seekers (Bedürfnissucher). Diese Unternehmen orientieren sich nach aktuellen und potentiellen Kunden, um neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.
Market Readers (Marktbeobachter). Diese Unternehmen beobachten sowohl Kunden als auch Wettbewerber. Ihre Innovationen sind vorwiegend inkrementeller Art und versuchen, etablierten Trends zu folgen. Vieles hängt davon ab, den richtigen Moment für die Einführung der Innovation zu treffen.
Technology Drivers (Technologietreiber). Diese Unternehmen lassen sich von ihren technologischen Fähigkeiten leiten. Sie profitieren von ihren hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung und sind die ersten, die neue Technologien am Markt einführen.
Keiner dieser Ansätze ist grundsätzlich den anderen überlegen, doch erfordert jeder andere Kernkompetenzen in der Innovation. Laut dem Bericht kommt es nicht darauf an, sämtliche Kompetenzen zu beherrschen, sondern nur die, die für den jeweiligen Ansatz relevant sind. Beispielsweise müssen Bedürfnissucher einen engen Kontakt zu Konsumenten pflegen und die Methoden zur Ermittlung von bewussten und unbewussten Bedürfnissen beherrschen. Technologietreiber dagegen nutzen Prinzipien der Open Innovation, um einen effizienten Austausch von technischen Ideen und IP zu ermöglichen.
Das folgende Zitat ist eine leicht abgewandelte Version eines Tweets, das ich neulich bei Twitter gelesen habe.
Aus der Sicht der Innovation ist die schlimmste Sucht nicht Nikotin oder Alkohol, sondern ein regelmäßiges Gehalt.
(Das Originalzitat lautet The three most harmful addictions are heroin, carbohydrates, and a monthly salary und stammt ursprünglich von libanesischen Akademiker und Autor Nassim Nicholas Thaleb.)
Bei unserer Arbeit für Unternehmen sind es oft unzutreffende Glaubenssätze darüber, was Innovation ist oder wie sie funktionieren soll, die eine der schwierigsten Hürden bilden. Ein solcher Glaubenssatz, mit dem wir neulich konfrontiert worden sind, ist die Vorstellung, dass Innovation lediglich aus der Einführung neuartiger Produkte besteht.
Ich habe neulich einen Artikel von M. Sawhney, R. C. Wolcott und I. Arroniz im MIT Sloan Management Review entdeckt mit dem Titel The 12 Different Ways for Companies to Innovate. Dieser Artikel behandelt genau diesen Glaubenssatz und behauptet, dass es für Unternehmen 12 verschiedene Dimensionen der Innovation zu beachten gibt. Der Artikel enthält den folgenden Gedanken:
Business Innovation is about New Value, not New Things. Innovation is relevant only if it creates value for customers – and therefore for the firm. Thus creating „new things“ is neither necessary nor sufficient for business innovation.
Innovation im Unternehmen soll demzufolge einen neuen Kundennutzen hervorbringen. Dies kann die Einführung neuer Produkte bedeuten, muss aber nicht.
Dieser Gedanke fasst die Botschaft elegant zusammen, die ich transportieren wollte und wird sicher bald als Zitat in meinen Unterlagen wiederzufinden sein.
Dieses Foto habe ich im Business-Hotel René Bohn von BASF in Ludwigshafen aufgenommen. Es zeigt den Teppich im Fahrstuhl im Seminarbereich. Wie man an Hand der Aufschrift erkennen kann, wird dieser Fahrstuhlteppich jeden Tag gewechselt. Einen Teppich für jeden Tag der Woche zu haben war für mich eine Überraschung, denn es zählt zu unseren (jedenfalls zu meinen) grundlegenden Annahmen über Teppiche, dass es einem Ort nur einen davon gibt.
Ein Weg, zu solchen Ideen zu kommen, sind die Provokationen. Provokationen sind gezielte Verfälschungen der bekannten Wirklichkeit. Um eine Provokation zu gewinnen, sind zwei Schritte erforderlich:
Eine Beobachtung über die bekannte Wirklichkeit machen.
Diese Beobachtung verfälschen.
Schritt 1 fällt dem Ungeübten sehr schwer, denn die besten Beobachtungen sind solche, die so selbstverständlich sind, dass wir sie nicht mehr sehen können. In Falle des Fahrstuhlteppichs hätte man nämlich feststellen müssen,
Ein Teppich hat einen festen Standort.
Derartige Beobachtungen erscheinen leicht, wenn sie einem präsentiert werden, aber es ist für die meisten Menschen unerwartet schwierig, sie selbst herzustellen.
Ist eine gute Beobachtung gefunden, ist die Gewinnung von Provokationen vergleichsweise einfach:
Kein Teppich hat einen festen Standort.
Ein Teppich hat drei Standorte.
Ein Teppich kann seinen Standort wechseln.
An jedem Standort gibt es mehrere Teppiche.
Viele innovative Ideen sind entstanden durch eine Verfälschung einer Selbstverständlichkeit. Welche Ideen könnte man zum Beispiel gewinnen, indem man die folgenden „Regeln“ hinterfragt?
Das Ziel unseres Unternehmens ist, Gewinne zu machen.
Man muss sich auf seine profitabelsten Kunden konzentrieren.
Man muss auf seine Kunden hören.
Unsere Dienstleistung wird mit Euros bezahlt.
Die Außendienstmitarbeiter haben den Kontakt zu den Kunden.
Überraschende Ideen entstehen, wenn sie eine unserer Annahmen über die Welt aufheben, d.h. unsere Betriebsblindheit überwinden. Je selbstverständlicher uns eine „Tatsache“ erscheint, desto origineller erscheint uns eine Idee, die uns beweist, dass diese „Tatsache“ eine Täuschung gewesen ist.
Die Überwindung der Betriebsblindheit ist ein wichtiges Element der Ideenproduktion. Unsere bevorzugte Methode dafür ist die Provokation. Provokationen sind gezielte Brüche mit etabliertem „Wissen“. In früheren Beiträgen habe ich zwei Beispiele für solche Provokationen bei Armbanduhren (Link 1, Link 2) gezeigt.
Das Bild zeigt eine Arbeit des japanischen Studenten Shin Yamashita, der am Kyoto Institute of Technology studiert. Sein Entwurf ist ein Teppich aus Schaumstoff, der sich auf vielfältige Weise zu verschiedenen Möbelstücken umfunktionieren lässt.
Annahmen, die hier aufgehoben worden sind, lauten
Teppiche sind zweidimensionale Objekte.
Teppiche sind (nur) zum Betreten da.
Gerade weil diese beiden Annahmen so selbstverständlich sind, erscheint Yamashita’s Idee so innovativ.