Drei Suchbereiche für neue Ideen

drei suchorte für ideen

Wer die Literatur zu Kreativität studiert, wird von der sehr großen und wenig übersichtlichen Vielzahl an Kreativitätstechniken schier überwältigt. Diese Erkenntnis war einer der Auslöser für die Idea Engineering-Forschung, die Zephram gemeinsam mit der Universität Magdeburg betreibt. Eine der Aufgaben dieser Forschung besteht darin, diese Kreativitätstechniken (die bei Idea Engineering Ideenproduktionstechniken genannt werden) zu systematisieren. Die wichtigste solche Systematisierung ist die Einteilung in Algorithmus, Format und Inszenierung, die bereits für eine sehr große Vereinfachung sorgt.

Eine weitere, einfache Hilfe zum Verständnis von Methoden zur Ideenfindung bietet die obige Grafik. Sie zeigt den Raum aller möglichen Ideen zur Lösung einer Ideenproduktionsaufgabe, die in drei große Bereiche eingeteilt ist. Diese Bereiche stellen die drei unterschiedlichen Ideensuchfelder empfohlen, zufällig und verborgen dar.

  • Empfohlene Suchorte sind solche, die auf Grund von Erfahrung, Expertenwissen oder gesundem Menschenverstand als wahrscheinliche Fundorte für Ideen nahe liegen. Hierzu gehören alle Empfehlungen der Innovationsliteratur wie die Lead User Methode, TRIZ und die Fragen der Value Innovation. Aus den generischen Ideenproduktionstechniken gehören neben den Experten-Checklisten auch die naheliegenden Analogietechniken hier hinein.
  • Zufällige Suchorte sind solche, die durch eine rein zufällige Anregung bestimmt werden. Diese Methoden sind oft die Lieblinge der Kreativitätsbücher und der Standard-Kreativseminare, spielen aber für die systematische Ideenproduktion nur eine nebensächliche Rolle, da die Wahrscheinlichkeit eines Treffers sehr gering ist. Zephram setzt Zufallstechniken vor allem zur Auflockerung der Ideenfabrik ein, da sie sich temporeich und mit viel Spaß und Abwechslung inszenieren lassen.
  • Verborgene Suchorte sind solche, die der Ideensuchende von sich aus nicht erkennt oder sogar für sich ausgeschlossen hat. Dieser Bereich hat seine Ursache in Betriebsblindheit und in der unkritischen Übernahme überholter Annahmen und Regeln. Es ist die Aufgabe der Provokationstechnik, diese Wahrnehmungsbarrieren zu sprengen. Meistens entstehen die innovativsten Ideen auf diesem Weg. Gleichzeitig ist er aber auch der schwierigste, da er die eigenen Annahmen und Glaubenssätze in Frage stellt.

In der Mitte der Grafik befindet sich der gelbe Kreis Eigener Horizont. Dieser stellt den Ideenbereich dar, den der einzelne Mensch bzw. die Gruppe ohne zusätzliche Anregungen abdeckt. Dieser Bereich ist natürlich wesentlich kleiner als der gesamte Bereich alle möglichen Ideen. Die Grafik macht deutlich, welche Aufgabe Ideenproduktionstechniken erfüllen, nämlich den Blick für einen größeren Suchraum für Ideen zu öffnen. Sie erklärt auch, warum das klassische Brainstorming, die 6-3-5-Technik und andere Methoden, die keinen Perspektivwechsel bieten, bei ungeübten Teilnehmern so wenig erfolgreich sind bei der Erzeugung innovativer Ideen.

Ein guter Ideenworkshop wird mit Hilfe eines im Voraus erstellten Drehbuchs moderiert. Zur Kunst des Drehbuchautors gehört, den richtigen Mix aus geeigneten Ideenproduktionstechniken zu wählen. Die obige Grafik ist ein Hilfsmittel zur Gestaltung dieses Portfolios.

Die Value Innovation-Checkliste

value innovation

Zu den bekannteren Innovationsbüchern der letzten Jahre gehört Blue Ocean Strategy von W. Chan Kim und Renée Mauborgne. Darin befindet sich unter dem Stichwort Value Innovation ein Werkzeug zur Aufdeckung von neuen, Erfolg versprechenden Produkten. Value Innovation bezeichnet ein neues Produkt oder ein neue Dienstleistung, das bzw. die durch einen neuen Nutzen ein bisher vernachlässigtes oder noch nicht wahrgenommenes Kundenbedürfnis befriedigt. Aus diesem Grund genießen Value Innovations – jedenfalls vorläufig – eine Monopolstellung.

Das Werkzeug zählt sechs „Grenzen“ auf, die die bisherige Sichtweise einer Industrie auf ein bestimmtes Produkt einschränken. Diese Grenzen charakterisieren also gewissermaßen die Betriebsblindheit einer Industrie. Würde es einem gelingen, diese Denkgrenzen zu überwinden, wäre der Blick frei für innovative – und hoffentlich auch attraktive – Weiterentwicklungen des Produktes.

Die sechs Grenzen von Kim und Mauborgne sind:

  1. Die eigene Industrie: Oft liefert die Suche außerhalb der eigenen Industrie ungewöhnliche Anregungen für die eigenen Angebote.
  2. Die strategische Gruppe: Ähnliches gilt für die Suche bei anderen strategischen Gruppen bzw. Segmenten des bisher bedienten Marktes.
  3. Die Reichweite des Produktkontaktes: Welche noch nicht ausgeschöpften Potentiale liegen vor, nach und während des Gebrauchs des Produktes?
  4. Der Blick in die Zukunft: Mit Hilfe der Szenariotechnik und ähnlichen Werkzeugen den Einfluss von Trends und Megatrends auf den eigenen Markt untersuchen.
  5. Der Wechsel des Emotionsgrades: Einem bisher rein funktional wahrgenommenen Produkt eine emotionale Komponente geben bzw. umgekehrt.
  6. Die Zielgruppe neu definieren: Die Zielgruppe ausweiten: Wer kauft, nutzt oder beeinflusst den Kauf des Produktes und welche Interessen und Bedürfnisse haben sie?

Mit dieser Checkliste, die im Buch natürlich ausführlich beschrieben ist, können gezielt Anregungen für neue Produktvarianten gesucht werden.

Nach der Idea Engineering-Definition gehört diese Methode zur Kategorie Brainstorming/Weg (oft gelenktes Brainstorming genannt), da sie keinen Perspektivwechsel enthält und die Aufmerksamkeit auf bekannte Lösungswege lenkt. Zu dieser Kategorie gehört auch die bekannte Osborn- bzw. SCAMPER-Checkliste.

Die Blue Ocean Strategy genießt eine große Beliebtheit, und die Checkliste enthält in der Tat einige wertvolle Anregungen. In Kombination mit anderen Techniken bildet sie eine wertvolles Werkzeug für die Produktinnovation.

Literatur: W. Chan Kim, Renée Mauborgne: Blue Ocean Strategy

Geschäftsmodellinnovation mit SIT

drew boyd

In seinem neuen Blog Innovation in Practice – The Fortune 100 Perspective berichtet Drew Boyd über Innovationsthemen aus seiner Perspektive als Manager bei Johnson & Johnson.

In einem aktuellen Beitrag schreibt Drew über eine Ideenproduktionstechnik für neue Geschäftsmodelle auf der Basis des Value Networks kombiniert mit der SIT-Checkliste. Dazu werden zunächst die Lieferanten, Kunden, Konkurrenten und Komplementäre aufgeschrieben und dann in ihren Rollen vertauscht. Dann werden die SIT-Fragen auf die neue Beziehung angewandt. Dadurch können ungewöhnliche Perspektiven entstehen, die als Anregung für neuartige Geschäftsbeziehungen dienen.

Dieser Ansatz kann wesentlich allgemeiner angelegt werden. Einerseits kann ein umfassenderes Bild des Geschäftsmodells zugrunde gelegt werden, das z.B. auch die Einkunftsarten, Kostenstruktur und Kommunikationskanäle des Unternehmens berücksichtigt. Andererseits können aber auch viele weitere Aktionen angewandt werden als nur die fünf aus der SIT-Technik, z.B. vertauschen, anders verwenden oder kombinieren. Das Ergebnis ist eine größere Vielfalt an Anregungen, die das gesamte Geschäftsmodell auch breiter abdecken.

Geschäftsmodellinnovation ist zur Zeit ein wichtiges Thema, und dies ist meines Wissens die erste in Internet veröffentlichte Ideenproduktiontechnik dafür. Ich bin gespannt, ob weitere folgen werden.

Der neue Blog von Drew Boyd verspricht, zu den qualitativ besseren Innovationsblogs zu werden; wir werden sie auf jeden Fall aufmerksam verfolgen.

(Bildquelle: Innovation in Practice)

Innovationsquelle: „Unmögliches“?

Unmöglich?

Oft lese oder höre ich die Frage: „Wie bekomme ich Ideen für Innovationen?“ An dieser Stelle möchte ich gern eine Gegenfrage stellen: „Würden Sie denn eine Idee für eine Innovation erkennen?“ Ein Beispiel …

Fast jede Stadt hat eine Grünanlage, einen Park. Dort gehen die Bürger spazieren und sich erholen. Üblicherweise sind diese Parks frei zugänglich. Es gibt allerdings auch Parks für die Besucher Eintritt zahlen. Der Besitzer eines solchen Parks hatte sich einmal die Frage gestellt, wie er regelmäßig Besucher für seinen Park erhält. Eine Idee, die ihm präsentiert wurde, lautete „Bauen Sie Heroin in ihrem Park an!“.

Der Parkbesitzer stutzte und verwirft diese Idee sofort. Aussagen wie: „Das ist ungesetzlich.“ und „Damit mache ich mich strafbar!“ begegneten dem Ideengeber. Jeder vernünftig denkende Mensch gibt ihm natürlich sofort Recht! Diese Idee ist allein aus gesetzlicher Sicht unmöglich zu verwirklichen.

In der Ideenfindung geht es allerdings genau darum solche Provokationen aufzudecken. Nicht, weil Sie genau so umgesetzt werden sollen. Ganz und gar nicht! Viel mehr, weil in der Idee ein neuer Grundgedanke verborgen ist. Versuchen wir es: Was wäre der Vorteil an der Idee, dass der Park Heroin anbauen sollte?

  • Jugendliche würden in den Park gelockt werden.
  • Der Park würde Schlagzeilen machen.
  • Der Park hätte ein Alleinstellungsmerkmal.

Nun ist der Heroinanbau für den Parkbesitzer aus gesetzlichen Gründen unmöglich. Wie können wir dennoch den Kern der ursprünglichen Rohidee weiter verarbeiten? Wenn Heroin nicht möglich ist, was wäre stattdessen möglich? Wie können wir den Grundgedanken der Rohidee nutzen ohne ein Gesetz brechen zu müssen?

  • An der Stelle von Heroin werden nicht heimische Heilkräuter angebaut. Eine Art Apothekergarten.
  • Der Park installiert eine Aufklärungskampagne zu Pflanzen, Drogen und Folgen von Drogenkonsum.
  • Einmal monatlich stellt der Park eine Pflanze und deren Heilkraft vor.

Der Heroinanbau und somit das Ungesetzliche ist verschwunden. Unmögliches wird mit einigen Anpassungen realisierbar. Dies funktioniert jedoch nur, indem man sich überhaupt mit der unmöglichen Idee auseinander setzt. Natürlich würden die meisten Menschen diese Idee schnell als schlecht beurteilen. Durch diese automatische Reaktion kann allerdings das Gute der Idee gar nicht erkannt werden. Nicht alles was zu Beginn unmöglich scheint, muss letztendlich auch unmöglich sein.

Die Fähigkeit, eine scheinbar unmögliche Idee in eine realisierbare Idee umzuwandeln, ist trainierbar. Hinterfragen Sie die nächste unmögliche Idee in Ihrer Umgebung. Was würden Sie durch diese Idee gewinnen? Was müssten Sie an der Idee anpassen, so dass Sie doch realisierbar ist? Wie kann das Unmögliche umgangen werden?

P.S.: Die Ideen, die zu Beginn unmöglich zu realisieren erscheinen, sind meist die spannendsten und innovativsten Ideen!

Das Offensichtliche sehen

das offensichtliche sehen

Roger van Oech stellt in seinem Blog die Frage, wie sieht man das Offensichtliche? Da dieses Thema mich im Kontext der Ideenproduktion durch Provokation sehr interessiert, habe ich dort geantwortet. Ich gebe hier meinen (übersetzten) Kommentar wieder, zusammen mit einem Nachtrag.

Ich glaube, dass die Fähigkeit, das Offensichtliche zu sehen zu den wichtigsten gehört beim Kreativen Denken (die andere ist die Fähigkeit schnell zahlreiche Assoziationen zu bilden.)

Hier sind zwei Methoden, die wir in unseren Ideenfabriken einsetzen (und die ich Studenten beibringe):

1) Kindertag. Im Büro ist heute Kindertag: Die Kinder der Mitarbeiter kommen zu den Arbeitsplätzen ihrer Eltern und stellen Fragen. Erklären Sie den Kindern, was Sie tun und wie alles hier funktioniert. Ermutigen Sie die Kinder, die Frage „warum?“ zu stellen. Sie werden feststellen, dass Sie dadurch viele grundlegende „Tatsachen“ und Annahmen über Ihre Arbeit (wieder) entdecken.

2) Der Gerichtsmediziner. Tun Sie wie ein Gerichtsmediziner bei einer Autopsie. Untersuchen Sie Ihren Gegenstand gründlich und sprechen Sie selbst die kleinsten Beobachtungen ins Mikrophon, etwa wie folgt: „Das Opfer ist männlich, etwa 30 Jahre alt und ungefähr 180cm groß…“ Mit ein wenig Übung werden Sie dadurch lernen, viele offensichtliche Dinge zu erkennen.

Nachtrag:

Eine Blockade für neue Ideen ist die Betriebsblindheit; Sie macht gewohnte Dinge für uns unsichtbar.

Die Provokationstechnik ist eine ergiebige Quelle für neue Ideen. Jana hat sie bereits in ihrem Beitrag Ein Trittstein … beschrieben. Sie besteht aus zwei Schritten:

  1. Annahmen und Fakten über die Aufgabenstellung sammeln (Beobachten)
  2. Diese Annahmen und Fakten systematisch verfälschen (Provozieren)

Ein Beispiel dazu:

  1. Beobachtung: Meine Studenten bekommen die Prüfungsfragen am Ende des Semesters.
  2. Provokation: Meine Studenten bekommen die Prüfungsfragen am Anfang des Semesters.

Die Erfahrung zeigt, dass die besten Provokationen entstehen, wenn die Beobachtung möglichst grundlegend (und daher oft unsichtbar) war.

 

Links

Kompaktwissen Ideenfindung

 

Das etwas andere Orakel

roger von oech

Roger von Oech, Autor des Buches „A Whack on the Side of the Head“, schreibt einen Blog „Creative Think“ mit vielen interessanten Einsichten und Anregungen über Kreativität.

In seinem Beitrag „Use A Random Idea As An Oracle“ beschreibt er eine Inszenierung der Zufallstechnik, die er „Orakel“ nennt. Das habe ich zum Anlass genommen, in einem Kommentar über eine Übung zum Trainieren des Kreativen Denkens zu schreiben:

Stellen wir uns ein Orakel vor, das seine Fähigkeit zur Vorhersage verloren hat. Jedes Mal, wo jemand es um eine Inspiration bittet, antwortet es nur noch „Papagei“. Der Ratsuchende muss dann so lang über diese Antwort nachdenken, bis er darin eine Antwort auf seine Frage entdeckt.

Im Idea Engineering-Unterricht an der Universität erkläre ich folgende Trainingsmethode für das Kreative Denken:

Da die Zufallstechnik jedes beliebige Wort als Anregung vorschlagen kann, muss man im Idealfall auch dazu in der Lage sein, aus jedem beliebigen Wort eine Rohidee zu entwickeln. Hat man aber diese Fähigkeit, dann kann man auch ein Lieblingswort wählen und dieses immer wieder einsetzen. Unter den Studenten hat sich eine Tradition eingebürgert, hierfür „Papagei“ oder „Erdbeerjogurt“ zu verwenden.

Meine Herausforderung an Sie lautet also: Trainieren Sie Ihre „kreativen Muskeln“, bis Sie für jede Ideenfindungsaufgabe mit Hilfe von „Papagei“ eine interessante Idee finden können!