Commodity Falle entkommen

Hintergrund

CEMEX ist ein Zementhersteller aus Mexiko. Die Ursprünge des Unternehmens gehen bis zur Gründung von Cementos Hidalgo im Jahr 1906 zurück. Nach einer Fusion im Jahr 1931 erhielt das Unternehmen den Namen Cementos Mexikanos, aus dem der heutige Name abgeleitet ist.

Eines der wichtigsten Produkte von CEMEX ist der Fertigbeton, der mit Betonmischern gebrauchsfertig an Baustellen geliefert wird. Bedingt durch die Infrastruktur im Mexiko waren die Lieferstrecken für Fertigbeton relativ kurz, und der Markt war daher durch lokale Anbieter geprägt. Gekoppelt mit dem Ausbleiben von Innovationen bedeutete dies, dass viele Jahre lang im Markt kaum Bewegung stattfand und nur eine geringe Wettbewerbsintensität gegeben war.

Fertigbeton ist eine Commodity: Seine Eigenschaften sind genau definiert, und Hersteller haben keine Möglichkeit, ihren Produkten Differenzierungsmerkmale zu verleihen. Die Kunden treffen ihre Lieferantenauswahl allein auf Grund des Preises. In solchen Situationen herrscht großer Preisdruck, und es ist schwierig, Gewinne zu erwirtschaften.

Ausgelöst durch eine Wirtschaftskrise und einer Marktöffnung in den 1990er Jahren hat sich CEMEX unter ihrem CEO Lorenzo Zambrano vorgenommen, mit Hilfe einer radikalen Innovationsstrategie aus der Commodity-Falle zu entkommen.

Die Herausforderung

Fertigbeton wird in flüssiger Form an Baustellen gebrauchsfertig ausgeliefert. Kommt er zu spät, kann nicht weitergebaut werden. Andererseits ist er nicht beliebig lang haltbar. Verweilt er zu lang im Mixer, kann der Kunde die Lieferung verweigern. Im Extremfall verhärtet er im Mixer und kann nur noch mit Presslufthammern mühsam entfernt werden.

In Mexiko herrschte eine Reihe von Umständen vor, die das Geschäft mit Fertigbeton erschwerten. Schwache Infrastruktur und dichter Verkehr machten die zuverlässige Lieferung zur Herausforderung. Terminverletzungen von bis zu drei Stunden waren nicht ungewöhnlich. Andererseits führten schlechtes Wetter, unzuverlässige Arbeiter und der nicht-rechtzeitige Abschluss von Arbeiten durch Subunternehmen dazu, dass Baustellenleiter ihre Bestellungen oft kurzfristig ändern mussten.

Alle Beteiligten in der Branche hatten sich damit abgefunden, dass die Kombination von Umständen zu einem unlösbaren Zielkonflikt zwischen Niedrigpreis, Pünktlichkeit und Flexibilität führten.

Die Lösung

CEMEX hat eine klassische Strategie gewählt, um der Commodity-Falle zu entkommen: Das Unternehmen hat einen neuen Kundennutzen eingeführt, der dem Kunden wichtig war und durch Innovation ermöglicht und von keinem Konkurrenten angeboten wurde. Es hat eine Garantie gegeben, den Fertigbeton in einem Zeitfenster von nur 20 Minuten zu liefern. Diese Garantie gab dem Kunden mehr Planbarkeit, was zu einer erhöhten Produktivität führte und reduzierte zugleich sein Risiko.

Um zu diesem Durchbruch zu gelangen, war ein neues Verständnis für das eigentliche Produkt erforderlich. Statt sich nur als Lieferant von Baumaterial zu sehen, hat CEMEX erkannt, dass es vielmehr eine wertvolle Dienstleistung erbringen könnte, die ein wichtiges Kundenproblem lösen würde.

Die Realisierung

Um diese Garantie erfüllen zu können, waren erhebliche Investitionen in Innovation erforderlich. Vorbild für die Entwicklung waren Notdienste wie Polizei oder Krankenwagen, die innerhalb kurzer Zeit an beliebigen Orten sein müssen. CEMEX hat ihre technische und organisatorische Infrastruktur erneuert, um die gleiche Leistung erbringen zu können.

Jedes Fahrzeug wurde mit einem GPS- und einem Funkgerät ausgestattet. Damit konnte die Zentrale mit Hilfe von Satellitenverbindungen jederzeit wissen, wo sich alle Fahrzeuge befinden, und jedes Fahrzeug konnte Kontakt zu den Kunden halten, damit diese über die Ankunftszeit informiert bleiben können. Eine aufwendige IT-Infrastruktur wurde aufgebaut, um das Ganze zu koordinieren. Damit konnte CEMEX seine Betonmischer wie Taxis oder Polizeifahrzeuge verwalten: Ein zentraler Dispatcher schickte den Wagen, der in dem Moment am nahesten zum Zielort war.

Das Ergebnis

Die Ergebnisse dieser Innovationen sind beeindruckend: Wo zuvor nur etwa 34% aller Lieferungen innerhalb eines zehnminütigen Zeitfensters lagen, betrug die Quote nach Einführung der neuen Maßnahmen 98%. Auch wuchs die Anzahl der Produktivfahrten pro Fahrzeug im Durchschnitt von vier auf zehn, und die Kosten pro Lieferung konnten um 55% reduziert werden. Damit wuchs die Produktivität von CEMEX im Zeitraum 1996-2003 etwa zehnmal schneller als der Branchendurchschnitt. An manchen Standorten betrug das ROI (return on investment) für die Innovation 700%.

Durch sein neues Angebot konnte CEMEX die Kundenzufriedenheit erhöhen und für sich den Ruf aufbauen, der zuverlässigste Betonlieferant des Landes zu sein. Das Unternehmen betreibt ein aggressives Akquisitionsprogramm, bei dem es ineffiziente Unternehmen aufkauft und binnen kurzer Zeit auf seine überlegenen Arbeitprozesse anpasst. Dadurch ist CEMEX inzwischen zum drittgrößten Anbieter weltweit avanciert.

Kommentar

Die Geschichte von CEMEX ist ein oft zitiertes Beispiel für das Entkommen aus der Commodity-Falle durch radikale Innovation. Zwei wichtige Voraussetzungen hierfür sind die Einsicht, neue, underserved Arten von Kundennutzen zu erkennen und der Mut und die Risikobereitschaft, große Summen zu investieren und die Regeln des Marktes zu ändern.

In unserer Arbeit als Innovationsdienstleister haben wir nicht viel Einfluss auf den Mut und die Risikobereitschaft unserer Auftraggeber; wohl aber können wir ihnen mit unseren Innovationsworkshops helfen, neue Kundennutzen aufzudecken und dafür Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und zu bewerten. Nur allzu oft erleben wir Teilnehmer, die sich mit dem (geglaubten) Commodity-Status ihres Produktes abgefunden haben oder auf technische Merkmale fixiert sind, für die sich ihre Kunden aber wahrscheinlich nicht interessieren würden.

Sehr hilfreich in diesen Situationen ist der Perspektivwechsel vom Produktlieferant zum Dienstleistungserbringer. Dafür ist es meistens nicht notwendig, ein radikale Sichtweise wie Service-Dominant Logic einzunehmen – die Servitization liefert bereits alle notwendigen Inspirationen. Oft genügt es sogar, die Geschichte von CEMEX vorzutragen, um den notwendigen Perspektivwechsel in den Köpfen zu vollziehen.

Zentral für jede Innovationsbemühung in der Commoditisierung ist ein genaues Verständnis von Kundennutzen und die Fähigkeit, neue, bisher nicht bediente Nutzenarten aufzudecken. In reifen Märkten wie Fertigbeton ist der Nutzen, der neue Alleinstellungsmerkmale ermöglichen soll fast nie im Ausbau technischer Parameter oder Funktionen zu finden. Diese Erkenntnis wurde bereits in der Windermere Hierarchy und dessen Erweiterung beschrieben.

Wer in der Commodity-Falle gefangen ist, entkommt am besten durch einen neuen Blick auf die Bedürfnisse seiner Kunden, gekoppelt mit der Bereitschaft, mutige Innovationen einzuführen. Auf diese Weise kann er wieder Premium-Preise fordern und Kundenloyalität aufbauen.

Bildquelle: CEMEX bei Flickr. Bildnutzung gemäß der CC BY-NC-ND 2.0 -Lizenz.

Links

Eine Innovationsstrategie gegen die Commoditisierung

Roland Berger: Auswege aus der Commoditisierungsfalle

 


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Innovationsworkshop für einen Automobilzulieferer 2007

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