Lean Innovation = modernes Innovationsmanagement

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Innovationen misslingen häufig

Jeder Innovations- oder Produktmanager ist bestrebt seine Innovationen zum Gelingen zu bringen. Bislang misslingen Innovationen immer noch häufig. Bei Zephram glauben wir, dass für den Erfolg oder Misserfolg einer Idee, die Umsetzungsart entscheidend ist. Warum? Weil eine Idee lediglich einen Kerngedanken einfängt. In den seltensten Fällen entspricht der erfolgreiche Dienst, das erfolgreiche Produkt oder das erfolgreiche Geschäftsmodell noch haargenau der ursprünglichen Idee.

Das Innovationsmanagement ist nicht gut vorbereitet auf radikale Ideen

Nun ist aber genau für diese Wandelbarkeit einer Idee der übliche Ansatz im Innovationsmanagement sehr schädlich, denn er begreift eine Idee als etwas nahezu fertiges, nur noch nicht ganz vollständig ausgearbeitetes: Aus einer Menge von Ideen werden typischerweise nur einige nach einem Stage Gate Process ausgewählt und anschließend als Projekt nach dem Wasserfallmodell umgesetzt. Der Misserfolg ist damit aber schon vorprogrammiert: Wird die Idee erst einmal in einen abgesegneten Plan gegossen, die Budgets für dieses Innovationsprojekt eingestellt, erfolgt die Umsetzung nahezu sklavisch nach diesem Plan, selbst wenn sich erste Misserfolge absehen lassen. Erst nach der Realisierung dieses Projekts wird es erneut in Frage gestellt und dort stellt man nicht selten fest, dass man in der Planung von ganz anderen Prämissen ausgegangen ist. Die Folgen ziehen nicht selten das Scheitern des Projekts mit sich bzw. teure Anpassungen. Mit dem Bewusstsein, dass eine Idee, und besonders radikale Ideen, noch sehr wandelbar sind, erscheint der übliche Innovationsmanagementansatz wie reine Geldverschwendung.

In der Ideenfindung fragen wir uns nun, wer hat solch ein Problem schon einmal gelöst, etwas noch Unreifes zum Erfolg zu bringen?

Lean Startup als Inspiration für Lean Innovation

Genau mit diesen Schwierigkeiten kämpften auch Startups, ganz besonders zu Zeiten der Dotcom-Blase, wo Millionen von Dollar an Startups verschwendet wurden – vor allem weil sie nach dem Wasserfallprinzip vorgegangen sind (z.B. Webvan). Eric Ries und Steve Blank entwickelten daher eine neue Methode, um Startups dabei zu helfen effizienter und schneller zum Geschäftserfolg zu kommen. Das Besondere an dieser Methode ist, dass sie die „Unreife“ einer Geschäftsidee direkt adressiert, indem sie zunächst nur als Hypothese betrachtet wird. Das bedeutet, dass uns unsere Idee nur eine Vermutung aufzeigt, welches Produkt zu welcher Zielgruppe passen könnte. Vom ersten Tag geht daher ein Lean Startup „raus“ und validiert ihre Geschäftsidee auf allen Geschäftsmodellebenen. Die Vorteile dadurch sind: eine schlechte Idee wird schnell entlarvt, Zeit wird nicht an einer perfekten aber marktlosen Produktentwicklung verschwendet und das Managementteam erhält Steuerungsmechanismen für die Geschäftsmodellentwicklung.

Lean Innovation Management als Lösung

Auch Steve Blank, schreibt einen Artikel darüber, wie Lean Startup nun auch Unternehmen dabei helfen kann schneller zu innovieren – er nennt es Lean Innovation Management. Blank beschreibt darin, dass Unternehmen schon sehr gut darin sind Verbesserungen an ihrem aktuellen Geschäftsmodell vorzunehmen, aber oft daran scheitern, größere Innovationssprünge zu unternehmen. Gerade bei radikalen Neuerung sind auch gestandene Unternehmen Neueinsteiger, die wie ein Startup mit Ungewissheiten umgehen müssen. Mit der Lean Startup Methode lässt sich die Erfolgswahrscheinlichkeit insbesondere für radikalere Neuerungen auch bei bestehenden Unternehmen erheblich steigern (z.B. neue Geschäftsmodelle, Produkterweiterungen).

Lean Innovation Management aus unserer Sicht

Wie das Innovationsmanagement von Lean Startup in unseren Augen profitieren kann:

  1. Es ist nichts sicher bei einer neuen Unternehmung, egal ob es sich dabei um  eine Idee für ein gesamtes Geschäftsmodell, ein Produkt oder einen Service handelt.
  2. Statt aufwendige Business Pläne zu verlangen, nutze ein einfaches aber gut durchdachtes Geschäftsmodell als Entwicklungsgrundlage. Dadurch lassen sich auch wesentlich schneller Änderungen dokumentieren und kommunizieren.
  3. Behandle alle Faktoren in diesem Geschäftsmodell als Hypothesen. Kein Faktor ist validiert solange dort nicht ein Experiment Fakten geschaffen hat – nicht die erdachte Lösung, nicht das vermutete Problem der Zielgruppe, nicht einmal die Zielgruppe selbst.
  4. Überprüfe die Hypothesen konsequent. Für jede Hypothese braucht es ein Experiment, das die Hypothese belegt bzw. widerlegt. Die ersten wichtigen Hypothesen beziehen sich darauf, ob die Zielgruppe überhaupt die Lösung in Anspruch nehmen würde oder für die Lösung zahlen würde.
  5. Prüfe alle Hypothesen bis sie valide sind.
  6. Sind nicht alle Hypothesen validiert wurden, dürfen in die Unternehmung keine großen Investitionen fließen. Ausgaben in dieser Phase haben zum Ziel das Marktrisiko zu verringern. Es braucht daher nur so viel Investments, wie nötig sind, diese Risiken weitestgehend auszuräumen. Erst nach der Validierung werden große Mengen Geld für die Skalierung benötigt.
  7. Das Ziel dieser Etappe ist, wenn dann schnell zu scheitern. Das führt nämlich zu Gewissheit über die Erfolgswahrscheinlichkeit der Idee und senkt die damit verbundenen Kosten.

Unterschied Lean Startup und Innovation Management

Dazu braucht es allerdings einen extremen Wandel im Denken und Handeln von großen Unternehmen, um Lean Startup für sich einzusetzen. Hier zeigen wir, welche Unterschiede gerade existieren: Warum Konzerne sich immer noch schwer tun, zu innovieren?

Bildquelle: Stockvault

Was einen erfolgreichen Wagniskapital-Investor ausmacht

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Peter Thiel gehört zu bekanntesten und erfolgreichsten Venture Capital-Investoren der Welt. Er war Gründer von PayPal und von Palantir und gehört zu den ersten Investoren in Facebook.

Diese Grafik nutzt er, um zu erklären, vor was für Herausforderungen eine VC-Gesellschaft steht: Die allerbesten Ideen sehen wie schlechte Ideen aus. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass ein Web-Dienst, bei dem man Textnachrichten mit höchstens 140 Zeichen veröffentlichen kann, mehrere Milliarden schwer werden könnte? Die Aussage gilt aber auch analog für kleinere Innovationen: Die wertvollsten Ideen hören sich zunächst nach schlechten Ideen an, weil sie ungewöhnlich sind oder unseren Erwartungen nicht entsprechen.

Aus diesem Grund braucht jede Organisation, die einen Innovationsprozess betreibt, ein Bewertungssystem, das angeblich schlechte Ideen nicht voreilig verwirft. Unseren Vorschlag für ein solches System nennen wir Discovery-Driven Innovation. In einem früheren Beitrag haben wir den Kernansatz der Ideenbewertung nach DDI präsentiert: Mit welcher Frage können wir am billigsten die meiste Ungewissheit (über die Erfolgschancen einer Idee) abbauen? So könnte man bei der Evaluierung der Twitter-Idee prüfen können, ob es Zielgruppen gibt, die ein Interesse an den Dienst haben. Ein kleine Umfrage unter Journalisten, Marketing-Abteilungen und Schülern würde schnell wertvolle Hinweise liefern.

Von den unbekannten Unbekannten in der Innovation

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Innovationsprojekte haben mit dem Unbekannten zu tun. Aber es sind nicht alle Unbekannten gleich. Die Unterschiede sind subtil und können Ursache für Verständigungsschwierigkeiten sein.

Eine Innovationsaufgabe hat immer die zwei Komponenten Problem und Lösung. Dabei können beide entweder bekannt oder unbekannt sein. Dies führt zu vier verschiedenen Kombinationen, die in der Grafik dargestellt sind.

Den einfachsten Fall stellt die Kombination Problem=bekannt/Lösung=bekannt dar. Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Line Extension. Ein Shampoo-Hersteller, der bereits die Duftrichtungen Zitrone, Erdbeere und Ananas anbietet, kann relativ leicht Orange ins Programm aufnehmen; Sowohl Problem als auch Lösung sind bekannt. Solche Fälle gehören zum Alltag, sie werden von einem Manager geleitet und können nach einer Checkliste abgearbeitet werden. In dieser Welt ist das Meiste vorhersagbar, Pläne können geschmiedet werden, deren Erfolg in der Regel garantiert werden kann, und Leistungsindikatoren können errichtet und auch verlässlich erreicht werden.

Den Fall Problem=bekannt/Lösung=unbekannt nennen wir Ingenieurprojekt. Er entspricht den Aufgaben in Forschung und Entwicklung: Das zu lösende Problem ist bekannt, die Lösung dafür muss jedoch gefunden werden. Diese Art von Innovationsaufgabe wird von einem Ingenieur geführt, und zur Durchführung wird ein Werkzeugkasten benötigt.

Der Quadrant Problem=unbekannt/Lösung=bekannt entspricht der Situation im Technologietransfer: Eine Lösung liegt bereits vor, z.B. in Form einer Erfindung, aber ist ist kein Problem dafür bekannt, auf das diese Lösung angewandt werden könnte. Die Aufgabe ist die eines Scouts, dessen Werkzeug eine Landkarte ist, mit deren Hilfe er das Land nach Problemen absucht. In dieser Situation stecken viele Universitäten: Sie haben Patente, die aus ihrer Forschung entstanden sind, ohne dass dafür eine Anwendung bekannt ist. Technologietransferstellen haben dann die Aufgabe, Lizenzpartner dafür zu finden.

Im vierten und letzten Quadranten sind weder Problem noch Lösung bekannt. Dies ist die Situation, in der sich ein Startup befindet. Die Rolle, die sich hierfür eignet, ist der Entrepreneur. Das geeignete Werkzeug ist der Kreislauf aus Hypothese und Experiment, mit dem Ansätze validiert oder verworfen werden. Die besondere Herausforderung liegt darin, Lösungen zu entwickeln für Probleme, die erst während der Entwicklung erkannt werden können. Es ist dem Startup nicht einmal bekannt, was ihm nicht bekannt ist.

Für diesen Quadranten ist Versuch und Irrtum ein notwendige Methode, und es muss viel gelernt werden, bevor eine Lösung endgültig gebaut werden kann. Für diesen Fall sind die Lean Startup-Methode und unsere eigene Discovery-Driven Innovation entwickelt worden.

Schwierigkeiten können entstehen, wenn zwei verschiedene Quadranten sich berühren. Dies gilt besonders für die Fälle bekannt/bekannt und unbekannt/unbekannt. Wenn ein Konzern und ein Startup gemeinsam eine neuartige Geschäftsidee entwickeln wollen, prallen zwei Sichtweisen aufeinander, die kaum vereinbar sind.

Das Startup braucht Zeit und Freiheit, um zu experimentieren, denn nur durch viele Versuche können die Probleme entdeckt werden, die es anschließend zu lösen gilt. Es ist kaum möglich, vorherzusagen, wie lange dieser Prozess dauern wird. Auf der anderen Seite wünscht aber der Konzern Sicherheit und Planbarkeit: Es werden Planungszahlen verlangt, die es dann zu erreichen gilt (und wo das Verfehlen der Zahlen als Makel gilt.)

Nirgendwo wird dieser Gegensatz besser sichtbar, als beim Business Plan. Der Konzern benötigt für seine Innovationsprojekte einen ausführlichen Business Plan, der Detailzahlen für einen Zeitraum von fünf Jahren verlangt. Auf der Grundlage dieses Plans wird eine Entscheidung getroffen, und die notwendigen Finanzmittel werden genehmigt. Alle gehen davon aus, dass der Plan dann in Erfüllung geht. Das Startup dagegen weiß, dass solche Business Pläne reine Fantasiegebilde sind, denn in einem Umfeld, in dem nicht einmal die Probleme bekannt sind (von den Lösungen ganz zu schweigen), sind Vorhersagen unmöglich. Ein von uns betreutes Startup, das noch nicht einmal die Geschäftstätigkeit aufgenommen hat, musste neulich angeben, über wie viele Barmittel es in fünf Jahren verfügen wird – eine vollkommen absurde Forderung.

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Kompaktwissen Innovationsmanagement

Die gefährlichste Bedingung zuerst prüfen

Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Erfolg versprechende Idee entwickelt, aber es sind noch zwei Bedingungen offen, an denen die Idee noch scheitern könnte. Welche Bedingung sollten Sie zuerst prüfen?

Die Antwort ist eigentlich einfach, dennoch stellen wir gelegentlich fest, dass die Intuition unserer Klienten und Studenten falsch liegt und sie die falsche Wahl treffen lässt. Mit ein bisschen Mathematik kann man leicht begründen, wie man vorgehen soll. Wir brauchen dazu die folgenden Größen:

  • Die Bedingungen nennen wir x und y.
  • Die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Idee an Bedingung x scheitert, heißt Px.
  • Die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Idee an Bedingung y scheitert, heißt Py.
  • Der Arbeitsaufwand, Bedingung x zu prüfen, ist Ax.
  • Der Arbeitsaufwand, Bedingung y zu prüfen, ist Ay.

Jetzt können wir die Erwartungswerte für den Arbeitsaufwand für beide Vorgehensweisen aufschreiben. Wenn wir zuerst x und danach y prüfen, ist unser Arbeitsaufwand

Ax + (1 – Px) * Ay.

(Wir müssen auf jeden Fall x prüfen, was den Aufwand Ax verursacht, aber y müssen wir nur prüfen, wenn unsere Idee x überlebt, was die Wahrscheinlichkeit (1 – Px) hat.

Analog ist der Arbeitsaufwand für den umgekehrten Fall

Ay + (1 – Py) * Ax.

Nach ein paar einfacher algebraischer Manipulationen bekommen wir die einfacheren Ausdrücke zum Vergleichen:

Px /Ax   bzw.  – Py / Ay

Nun ist klar, in welcher Reihenfolge wir die Prüfungen vornehmen müssen: Wenn das Verhältnis der Scheiterwahrscheinlichkeit zum Prüfwand für Bedingung x größer ist, als für Bedingung y, dann sollten wir x zuerst prüfen, denn dann ist unser Gesamtaufwand geringer. Im anderen Fall wählen wir entsprechend die umgekehrte Prüfreihenfolge. (Eigentlich handelt es sich um die Erwartungswerte für den Gesamtaufwand.)

Sind die Wahrscheinlichkeiten gleich hoch, prüfen wir die billigere Bedingung zuerst. Diese Erkenntnis scheint den meisten Menschen intuitiv einzuleuchten.

Sind die Aufwände gleich, prüfen wir zuerst die Bedingung mit der höheren Scheiterwahrscheinlichkeit – mit anderen Worten, die Bedingung, die unsere Idee mehr gefährdet. Nach unserer Beobachtung scheint dieses Ergebnis nicht so offensichtlich zu sein.

Das Vorgehen, das sich durch diese einfache Überlegung empfiehlt ist in der Lean Startup-Bewegung bekannt – wenn auch in vereinfachter Form und mit einer schlichteren Begründung. Eric Ries formuliert es so: „[…] it makes sense to test the riskiest assumptions first“.

Die Erkenntnis bildet auch die Grundlage für ein wichtiges Prinzip der Discovery-Driven Innovation. Wir formulieren es dort wie folgt: „Mit welcher Frage können wir am billigsten die meiste Ungewissheit (über die Erfolgschancen einer Idee) abbauen?“ Wenn man sich strikt an dieses Gebot hält, minimiert man den Arbeitsaufwand, die Erfolgschancen einer Idee zu validieren.

 

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Kompaktwissen Innovationsmanagement

Experimentieren geht über spekulieren

Denke nicht, sondern führe das Experiment durch! Dies war das Motto des englischen Arztes und Wissenschaftlers John Hunter (1728- 1793). Hunter hat viele Krankheiten studiert und systematisches Experimentieren als methodische Grundlage der Medizinwissenschaft betont.

Edward Jenner, ein Kollege von Hunter, hatte beobachtet, dass Milchmädchen, die Kühen mit Kuhpocken gemolken hatten, nicht an Pocken erkrankten. Jenner spekulierte, dass der Kontakt mit dem Kuhpocken die Mädchen gegen Pocken immun gemacht hatte. Daraufhin hat Hunter mit seinem inzwischen berühmten Spruch  geantwortet, Denke nicht, sondern führe das Experiment durch! Anstatt über seine Hypothese zu spekulieren, sollte Jenner sie durch einen Versuch testen. (Die Hypothese hat sich als wahr herausgestellt, und Jenner konnte damit eine Impfung gegen die Pocken entwickeln. 1840 wurden Impfungen in Großbritannien für jeden kostenlos erhältlich, und 1979 erklärte die Weltgesundheitsorganisation die Krankheit für ausgestorben.)

Im modernen Innovationsprozess wird allzu oft das Schicksal von Rohideen auf Grund von Spekulationen entschieden („Das wird der Chef nie genehmigen“, „Das wird unseren Kunden nicht gefallen“, „Ich glaube nicht, dass das funktioniert“). In solchen Situationen sollte der Leitspruch von Hunter erneut Anwendung finden. Allerdings würden wir vorschlagen, „denken“ durch „spekulieren“ zu ersetzen: „Spekuliere nicht, sondern führe das Experiment durch!“

Moderne Innovationsprozesse wie Lean Startup oder Discovery-Driven Innovation berücksichtigen die Erkenntnis von Hunter: Alle Argumente bezüglich einer Rohidee bzw. eines Geschäftsmodells werden als ungesicherte Hypothesen betrachtet, die durch ein Experiment validiert werden müssen bevor sie implementiert werden dürfen. Das Leitprinzip von Discovery-Driven Innovation lautet „Von welcher Annahme hängt der Erfolg der Idee am stärksten ab und mit welchem Experiment können wir diese Annahme am schnellsten und am billigsten prüfen?“

 

Discovery-Driven Innovation

ddi

Warum fällt die Einführung einer Marktneuheit einem Startup leicht, während es für viele etablierte Unternehmen schwer oder sogar unmöglich ist? Dafür gibt es einige Gründe; einige – vorwiegende kulturelle – haben wir im diesem Beitrag angesehen. Ein weiterer Grund ist die Art und Weise, wie Unternehmen mit Ungewissheiten umgehen.

Etablierte Unternehmen neigen dazu, den selben Innovationsprozess für Marktneuheiten zu verwenden, den sie für Produktverbesserungen und -ergänzungen verwenden. Dies ist der bekannte „Wasserfall“-Prozess, der mit einer vollständigen Spezifikation beginnt und diese in einer linearen Reihenfolge implementiert. Dieses Vorgehen beruht auf der Annahme, dass das zu entwickelnde Produkt mit allen Eigenschaften und Features von Anfang an bekannt ist. Diese Annahme mag zwar gerechtfertigt sein, wenn es sich um ein bekanntes Produkt für einen bekannten Markt handelt, für neuartige Lösungen ist sie es aber nicht.

Das große Problem mit dieser Methode ist, dass sie „alles auf eine Karte setzt“: alle Annahmen über das Produkt, die zu Beginn gemacht werden, müssen zutreffen, da sie nicht mehr in Frage gestellt werden. Gilt eine entscheidende Annahme nicht, wird das Produkt zu einem Flop. Eines der spektakulärsten Beispiele für ein Scheitern dieser Art ist Webvan, ein US-amerikanisches Unternehmen, das Lebensmittel nach Hause lieferte. Webvan arbeitete zwei Jahre lang mit falschen Annahmen und musste Insolvenz anmelden, nachdem es mehr als 800.000.000$ Investorenkapital aufgebraucht hatte. In einem früheren Beitrag haben wir eine Studie der Unternehmensberatung Kienbaum zitiert, die das Schicksal vieler Produktideen verfolgt hat. Von den 176 Produkten, die am Markt eingeführt wurden, haben 124 gefloppt und weitere 24 nur Verluste eingefahren. Offenbar haben die Innovationsprozesse, die diese Produktfehlschläge hervorgebracht haben, nicht alle Annahmen über die Märkte geprüft.

Diese Gefahr, auf das falsche Pferd zu setzen, führt zu einem zweiten Problem, das stark innovationshemmend wirkt. Aus Angst vor dem Scheitern und den hohen Verlusten, die damit verbunden sind, werden vielversprechende Innovationsprojekte gar nicht erst genehmigt. Dieses Phänomen haben wir in großen Organisationen häufig beobachtet. Um eine GO-Entscheidung für eine innovative Idee politisch, psychologisch und geschäftlich zu erleichtern, muss das Risiko, das damit verbunden ist, reduziert werden. Die positiven Auswirkungen der Discovery-Driven Innovation auf das Risiko werden wir in einem späteren Beitrag näher erläutern.

Um diese Probleme zu vermeiden, braucht es also einen neuen Umgang mit innovativen Ideen. Dieser Ansatz muss Folgendes leisten:

  • Es wird in kurzen, leicht zu rechtfertigenden Schritten gearbeitet.
  • GO-Entscheidungen binden nur geringe Mengen an Ressourcen.
  • Ungewissheiten werden nach und nach abgebaut. (Es wird nicht alles auf ein Pferd gesetzt.)

Wir nennen unseren Ansatz für die frühen Innovationsphasen Discovery-Driven Innovation (DDI). Discovery-Driven Innovation basiert auf den folgenden Axiomen:

  1. Zu Beginn des Innovationsprozesses ist nichts sicher; alle Aussagen über Produkt, Markt, Preise, Kundennutzen, Implementierung usw. sind nur Annahmen oder Schätzungen. Wir nennen sie Hypothesen, weil sie noch nicht bewiesen sind und sich durchaus noch als Irrtümer herausstellen können.
  2. Ein Arbeitsschritt bei DDI besteht darin, eine Hypothese entweder neu zu entwickeln oder zu prüfen. Das Ziel der Prüfung ist, die Hypothese zu validieren bzw. zu widerlegen.
  3. Der Aufwand für die Prüfung der Hypothesen wird so gering wie möglich gehalten.
  4. Gute Hypothesen führen zu einem großen Gewinn an Gewissheit im Verhältnis zu ihrem Prüfaufwand.
  5. Der Zyklus aus Hypothesenaufstellung und -überprüfung wird so lange wiederholt, bis eine valide Hypothese gefunden worden ist. Erst dann darf man zur nächsten (teureren!) Phase des Innovationsprozesses wechseln.

Discovery-Driven Innovation hat sehr vieles gemeinsam mit dem Lean Startup-Konzept von Eric Ries und Steve Blank. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass DDI für existierende Unternehmen gedacht ist, während Lean Startup für die Gründungsphase eines neuen Unternehmens entwickelt wurde. So muss DDI Faktoren wie Politik und Strategischer Fit berücksichtigen, die für ein existierendes Unternehmen wichtig sind, bei einem Startup aber unbekannt sind.

Die Graphik zeigt die Vorgehensweise von Discovery-Driven Innovation. Der Prozess ist in Phasen eingeteilt; diese Phasen entsprechen der zunehmenden Gewissheit über die Erfolgschancen einer Geschäftsidee. In Phase 1 geht es um die Grundvoraussetzungen wie beispielsweise das Vorhandensein eines Kundenproblems und die Notwendigkeit für eine bessere Lösung. In späteren Phasen werden Spezialfragen wie Marketing-Botschaften und Preismodelle geklärt. Die Inhalte der Phasen zu wählen ist die erste Herausforderung der DDI. Diese liegen zum Teil auf der Hand – es macht zum Beispiel keinen Sinn, Produkteigenschaften festzulegen bevor geklärt worden ist, dass überhaupt ein Markt für das Produkt besteht.

Die Aufgabe jeder einzelnen Phase ist, Lösungsvorschläge für die darin enthaltenen Aufgaben zu entwickeln und diese dann zu validieren. Da es zunächst nicht bekannt ist, ob die Lösungsvorschläge überhaupt funktionieren, werden sie Hypothesen genannt. Hypothesen, die nicht validiert werden können, müssen durch neue ersetzt werden; dies wird Iteration genannt. Erst wenn alle Hypothesen in einer Phase validiert worden sind, geht der Prozess in die nächste Phase über.

Wichtig an der Validierung ist, dass sie möglichst schnell und billig durchgeführt wird. An dieser Forderung scheitert der klassische Innovationsprozess. Gilt es zum Beispiel zu prüfen, ob sich das Internet als Informationskanal eignet, (d.h. ob die Zielgruppe das Internet nutzt, um eine Lösung für ihr Problem zu suchen), genügt es, eine einfache Landeseite zu erzeugen und diese mit Google Adwords eine Woche lang zu bewerben. Man kann dann mit Hilfe von Tools wie Google Analytics messen, wie hoch das Interesse war und wie die Besucher mit der Web-Seite umgegangen sind. Das Ganze dauert nur eine Woche und kostet maximal ein paar Hundert Euro. Um diese Hypothese zu validieren braucht es nicht einmal eine Produktspezifikation – von einem Prototypen oder sogar einem fertig entwickelten Produkt ganz zu schweigen!

Diese Vorgehensweise ähnelt sehr stark der wissenschaftlichen Methode, mit der vor allem die Natur- und Ingenieurwissenschaften seit Jahrhunderten Wissen erweitern und Technologie vorantreiben. In der Wissenschaft werden zunächst Hypothesen – das heißt Vermutungen darüber, wie sich eine Sache verhält – aufgestellt und anschließend durch Experimente geprüft. Wird die Hypothese durch das Experiment bestätigt, so kann man sie als Arbeitsgrundlage verwenden; wird sie durch das Experiment widerlegt, so muss sie verworfen und durch eine neue ersetzt werden. Die Visualisierung der wissenschaftlichen Methode (siehe hier und hier für Beispiele) beschreibt daher sehr gut auch die Discovery-Driven Innovation. Eine weitere sehr gute Analogie ist das sogenannte User-Centered Design, das eine fast identische Darstellung für ihre Vorgehensweise verwendet (siehe hier und hier.

Eine Stelle im frühen Innovationsprozess, an der Unternehmen häufig mit ungeprüften Annahmen arbeiten, die sich später als Irrtümer erweisen, sind Annahmen über den Kundennutzen ihres geplanten Produktes. So glaubte Daimler beispielsweise mit der Einführung der A-Klasse junge Kunden anzusprechen, die einen Mercedes-Benz zum günstigeren Preis bekommen. Tatsächlich aber wurde das Modell von Senioren bevorzugt, für die die höhere Sitzposition ein leichteres Einsteigen ermöglichte.

In der Praxis kann Discovery-Driven Innovation in einem Format betrieben werden, das dem des bekannten Stage-Gate-Prozesses ähnlich ist. Dies hilft, Akzeptanz bei Kunden zu erhöhen, die ihn schon kennen oder einsetzen. (Inhaltlich unterscheiden sich Stage-Gate und DDI aber grundlegend!) Workshops werden im Wechsel mit Arbeitsphasen durchgeführt, wobei die Workshops zur Bewertung der Prüfungsergebnisse und zur Entwicklung von neuen Hypothesen dienen und die Arbeitsphasen für die Prüfung verwendet werden. Je nachdem, auf welche Weise der Kunde imstande und gewillt ist, Ressourcen für seinen Innovationsprozess bereitzustellen, können wir mit ihm ein Innovationstempo erreichen, der fast das eines Startups erreicht. Wie das geht werden wir in einem zukünftigen Beitrag erläutern.

 

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