Betriebsblindheit ist eigentlich ein negatives Wort. Doch sie hat auch etwas Gutes an sich: Sie hilft, unsere Konzentration zu fokussieren, indem sie Wesentliches von Unwesentlichem trennt. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für ein effizientes Arbeiten. Sie entsteht als Konsequenz von angewandtem Expertenwissen, etablierten Prozessen und routinierten Arbeitsweisen.
Was ist aber, wenn Veränderungen, Optimierungen oder gar neue Ideen benötigt werden? In diesem Fall ist die Betriebsblindheit in der Tat hinderlich. Sie macht es den Menschen sehr schwer, sich von ihren gewohnten Gedanken und Annahmen zu trennen, die sie bisher nicht hinterfragt haben oder womöglich sogar nicht einmal mehr erkennen.
Ein berühmtes Beispiel für die Betriebsblindheit waren die Ingenieure um den Entrepreneur Henry Ford. Sie sollen behauptet haben, es sei unmöglich, einen Sechszylinder-Motor zu bauen – woraufhin Ford gesagt haben soll, „besorgt mir Leute, die noch nicht gelernt haben, was nicht geht!„
Das ist auch unsere Empfehlung für die Ideenfindung. Holen Sie sich Teilnehmer in Ihren Ideenworkshop, die nicht im Thema stecken. Menschen, die nicht wissen, was „nicht geht“. Damit werden Sie viele neue Perspektiven erhalten, auf die Sie selbst nur mit einem viel höheren Aufwand oder sogar gar nicht gekommen wären. Wenn Sie keine Fremden zur Hand haben, können Sie die Provokationstechnik nutzen, um ihre Betriebsblindheit zu überwinden.
Wir haben festgestellt, dass Studenten die idealen Teilnehmer in Ideenfabriken sind. Diese „Ideengeber“ – die in den Techniken des Idea Engineering ausgebildet sind – besitzen die richtige Mischung aus dem „nicht wissen, was nicht geht“ und der Fähigkeit, sich schnell in eine neue Situation einzuarbeiten und Anregungen zu liefern.
Roger van Oech stellt in seinem Blog die Frage, wie sieht man das Offensichtliche? Da dieses Thema mich im Kontext der Ideenproduktion durch Provokation sehr interessiert, habe ich dort geantwortet. Ich gebe hier meinen (übersetzten) Kommentar wieder, zusammen mit einem Nachtrag.
Ich glaube, dass die Fähigkeit, das Offensichtliche zu sehen zu den wichtigsten gehört beim Kreativen Denken (die andere ist die Fähigkeit schnell zahlreiche Assoziationen zu bilden.)
Hier sind zwei Methoden, die wir in unseren Ideenfabriken einsetzen (und die ich Studenten beibringe):
1) Kindertag. Im Büro ist heute Kindertag: Die Kinder der Mitarbeiter kommen zu den Arbeitsplätzen ihrer Eltern und stellen Fragen. Erklären Sie den Kindern, was Sie tun und wie alles hier funktioniert. Ermutigen Sie die Kinder, die Frage „warum?“ zu stellen. Sie werden feststellen, dass Sie dadurch viele grundlegende „Tatsachen“ und Annahmen über Ihre Arbeit (wieder) entdecken.
2) Der Gerichtsmediziner. Tun Sie wie ein Gerichtsmediziner bei einer Autopsie. Untersuchen Sie Ihren Gegenstand gründlich und sprechen Sie selbst die kleinsten Beobachtungen ins Mikrophon, etwa wie folgt: „Das Opfer ist männlich, etwa 30 Jahre alt und ungefähr 180cm groß…“ Mit ein wenig Übung werden Sie dadurch lernen, viele offensichtliche Dinge zu erkennen.
Nachtrag:
Eine Blockade für neue Ideen ist die Betriebsblindheit; Sie macht gewohnte Dinge für uns unsichtbar.
Die Provokationstechnik ist eine ergiebige Quelle für neue Ideen. Jana hat sie bereits in ihrem Beitrag Ein Trittstein … beschrieben. Sie besteht aus zwei Schritten:
Annahmen und Fakten über die Aufgabenstellung sammeln (Beobachten)
Diese Annahmen und Fakten systematisch verfälschen (Provozieren)
Ein Beispiel dazu:
Beobachtung: Meine Studenten bekommen die Prüfungsfragen am Ende des Semesters.
Provokation: Meine Studenten bekommen die Prüfungsfragen am Anfang des Semesters.
Die Erfahrung zeigt, dass die besten Provokationen entstehen, wenn die Beobachtung möglichst grundlegend (und daher oft unsichtbar) war.
Kritiker wie Ambrose Bierce behaupten: There is nothing new under the sun but there are lots of old things we don’t know. In dem folgenden Beitrag wollen wir diese Behauptung näher beleuchten.
Starten wir doch gleich bei einer der ältesten und wichtigsten Erfindungen der Menschheit: das Rad. Ungefähr 4000 v. Chr. hat die Menschheit das Rad erfunden. Allerdings: Wie viele Koffer mit Rädern konnten Sie im Jahre 1990 auf Flughäfen oder Bahnhöfen beobachten?
Das Rad – eine uralte Innovation. Das zugrundeliegende Prinzip des Rades ist, etwas Schweres leichter über den Boden zu befördern. Ein alt bekanntes Prinzip. Nichts Neues soweit. Allerdings trifft dieses Prinzip immer wieder auf neu entdeckte Bedürfnisse der Menschen. Zum Beispiel:
Erhöhung des Reisekomforts (z.B. rollengelagerter Reisekoffer).
Das Neue daran ist nicht das Rad, sondern die Wiederverwendung des Rades für neu entdeckte Bedürfnisse.
Betrachten wir ein weiteres Beispiel für das Recycling von Prinzipien: Menschen tauschen bereits sehr lang Erfahrung in Form von Tagebüchern aus. Im Internetzeitalter hat man dieses Prinzip des Erfahrungsaustauschs in Form von Weblogs wiederentdeckt. Auch hier: Das Prinzip ist bekannt. Neu ist, das es für dem individuellen Erfahrungsaustausch im Internet genutzt wird.
Wirft man einen Blick in die Entdeckungsgeschichte der Menschheit, stößt man auf einige Ursprünge von heute recycelten Prinzipien. Wie zum Beispiel:
400 v. Chr. : Der erste realisierte Roboter von Archytas von Tarent (die fliegende Taube von Archytas).
1725: Entdeckung des lichtempfindlichen Silbersalzverfahrens durch Johann Heinrich Schulze. Später die Grundlage zum Fixieren einer Fotografie.
1838: Entdecker des Prinzips der Brennstoffzelle durch Christian Friedrich Schönbein.
1839: Entdeckung des fotoelektrischen Effekts als Grundlage der Photovoltaik (Solarzellen) durch Alexandre Edmond Becquerel.
Die genannten Beispiele haben alle dieselbe Eigenschaft: sie sind der Ursprung eines zugrundeliegenden Prinzips und wurden später für verschiedenste Bedürfnisse wiederverwendet.
In der Geschichte der Menschheit lassen sich viele Konzepte aufdecken, die heute immer noch Innovationspotential in sich bergen. Lernen Sie doch für Ihr nächstes Problem von bereits vorhandene Lösungsprinzipien. Sie könnten es zum Beispiel mit folgenden uralten Innovationen versuchen:
Relativieren Sie etwas wie Einstein.
Machen Sie etwas Unsichtbares sichtbar wie ein Mikroskop.
Trennen Sie wesentliche Informationen von Unwesentlichen wie Röntgenstrahlen.
Mobilisieren Sie etwas wie es der Ottomotor tut.
Geben Sie etwas eine besondere Note wie Schokolade.
Machen Sie Informationen verfügbar wie die Braille Schrift.
Vervielfältigen Sie etwas wie die Buchdruckmaschine von Guten- berg.
Machen Sie das Wichtigste extrem kompakt wie ein Bouillonwürfel.
Manche Guerilla-Marketing-Kampagnen setzen Graffiti ein. Graffiti gilt aber als öffentliches Ärgernis und ist in vielen Ländern illegal. IBM hat beispielsweise für eine solche Werbeaktion eine Strafe bezahlen müssen.
Die Firma Street Advertising Services (SAS) aus England hat durch eine Provokation vom Typ Umkehrung eine clevere Geschäftsidee entwickelt. Ausgehend von der Beobachtung
Graffiti ist eine Verunreinigung der Oberfläche
lässt sich mit Hilfe einer Umkehrung die Provokation
PO: Durch Graffiti wird die Oberfläche sauberer
ableiten. Das Ergebnis: Graffiti-ähnliche Werbebotschaften auf Straßen und Mauern durch Entfernen des Schmutzes! Mit Hilfe eines Hochdampfreinigers und einer Schablone werden die Bilder nachts angebracht. Nach Auskunft von SAS sind die Bilder umweltfreundlich; sie verschwinden allmählich, wenn die sauberen Stellen langsam wieder verschmutzen.
Menschen in unserer Umgebung sind Äußerungen sehr bekannt, die ähnlich sind wie PO: Das Cockpit eines Flugzeugs ist hinten. Erst vor ein paar Tagen wollte ich einen Blog-Beitrag schreiben, der ursprünglich lauten sollte: PO: Kreativität braucht Schranken.
Denn Aussagen, die wir mit PO: … einleiten, haben immer das Ziel die eigene Betriebsblindheit zu überwinden. PO steht dabei für provocation operation und wurde von dem berühmten Kreativitäts- forscher Edward de Bono erfunden. Das Wort kann nach folgenden Regeln verwendet werden:
Aussagen ermöglichen, ohne eine Begründung dafür abzugeben.
Aussagen zu nutzen, die keine Bedeutung haben.
Aussagen zuzulassen, die rational nicht erreichbar sind.
Die normale Reaktion auf die Aussage Das Cockpit ist hinten, wäre Ablehnung (z.B. hätten Flugzeugingenieure oder Piloten vermutlich geantwortet: Das geht nicht!).
Allerdings ermöglicht die Einleitung PO: …, die Aussage als Trittstein zu einer neuen Gedankenwelt zu nutzen und die eigene Betriebsblindheit zu überwinden. Zur Verdeutlichung des Prinzips kann man sich einen Trittstein im Fluß vorstellen, der eine Hilfestellung bietet, um zu einem neuen Ufer zu gelangen. Demzufolge soll die Aussage PO: Das Cockpit ist hinten zu folgenden Überlegungen führen: Was wäre wenn, das Cockpit eines Flugzeugs hinten wäre? oder Welche Vorteile hätte es?
Eine Antwort auf die Frage Welche Vorteile hätte es, wenn das Cockpit hinten wäre? ist: Dann könnten die Passagiere während des Startens und Landens die Aussicht genießen. Der Flugzeughersteller Boeing hat zwar nicht das Cockpit dafür nach hinten verlagert, aber es entstand die Idee, eine Kamera in die Flugzeugspitze zu installieren und das Bild (bzw. die Aussicht) allen Passagieren per Monitor zugänglich zu machen. In den neueren Verkehrsflugzeugen kann man diese Aussicht bereits genießen.
Ohne das Auseinandersetzen mit einer zunächst scheinbar absurden Aussage, wäre dieser Gedankensprung nicht möglich. Um diese Fähigkeit zu erlangen, ist PO für das eigene Training ein sehr wirksames Instrument.
Für Ihr Training können Sie sich mit folgenden POs auseinander- setzen und überlegen, was wäre wenn … :
PO: Das Zifferblatt einer Uhr bewegt sich, die Zeiger stehen still.
PO: Schüler unterrichten ihre Lehrer.
PO: Mein Kleiderschrank ist intelligent.
PO: Der Snack isst den Käufer.
PO: Die Spielregeln sind nicht jedem bekannt.
PO: Die Visitenkarte enthält keine Adresse.
PO: Alle Telefonnummern ändern sich regelmäßig.
PO: Universitäten sind Start Ups.
In der nächsten Stufe können Sie eigene Provokationen entwickeln. Wir möchten Ihnen dazu drei Tipps mitgeben:
Selbstverständlichkeiten zu einem Thema suchen (z.B. Ein Bleistift ist ein Schreibgerät).
Diese Aussagen mit folgenden Verben bearbeiten: Annahmen aufheben, verfälschen, ins Gegenteil verkehren, idealisieren und übertreiben (z.B. PO: Ein Bleistift ist ein Sportgerät).
Setzen Sie sich mit diesen Provokationen auseinander.
Lassen Sie uns das Thema nicht eingrenzen. Dann haben wir alle Freiheiten. Immer dann wenn es um Kreativität oder Ideenfindung geht, glaubt man im Allgemeinen mit der sogenannten Freiheit mehr und bessere Ideen erzeugen zu können.
Die Praxis zeigt jedoch: Ohne klare Zielvorstellung in der Ideenfindung verzetteln sich die Beteiligten und sind letztendlich frustriert von den Ergebnissen. Führt man jedoch ein klares Ziel, eine prägnante Aufgabenstellung und Qualitätskriterien ein, können wesentlich bessere Ideen erzeugt werden.
Dies kann man vergleichen mit dem Planen eines Projekts. Ein Projektplan und somit das Aufschreiben, Kommunizieren und Kontrollieren von Zielen und Qualitätskriterien legt den Grundstein für erfolgreiche Projektergebnisse. Ergebnisse werden messbar und alle Projektbeteiligten können Ihre Aktivitäten am Ziel ausrichten. Ist dies nicht vorhanden, sind die Ergebnisse fast gar nicht absehbar und der Projektablauf ist chaotisch.
Aus Projekterfahrung wissen wir, dass ein klares Ziel und prüfbare Qualitätskriterien maßgebliche Erfolgsfaktoren für gute Ideen sind. Daher möchten wir unseren Lesern eine kleine Checkliste mitgeben, um sich auf eine Ideenfindung gut vorbereiten zu können:
Warum entstand der Wunsch nach Ideen überhaupt? Wie kam es zur Aufgabenstellung?
Was wollen Sie mit den Ergebnissen der Ideenproduktion erreichen?
Wie lautet in einem ganz kurzen und knappen Satz Ihr Ideenauftrag (Tipp: Ein zwölfjähriger Junge sollte die Aufgabe verstehen können)?
Machen Sie eine Liste der Kriterien, an denen Sie die erfolgreiche Umsetzung der Idee messen würden (Tipp für die Formulierung: Je mehr die Idee … erfüllt, desto besser)?
Sammeln Sie eine Liste der Kriterien, die eine Idee unbedingt einhalten muss (sogenannte KO-Kriterien).
Scott Berkun schlägt in seinem BlogIdea Helpers vor. Diese nennen wir bei Zephram Förderphrasen.
Förderphrasen sind das Gegenteil von Killerphrasen. Killerphrasen haben zum Ziel, Ideen (oder deren Autoren) niederzumachen; sie sind für den Innovationsworkshop Gift, da sie die offene und verspielte Stimmung sofort zerstören. Förderphrasen dagegen bringen eine unterstützende und optimistische Haltung zum Ausdruck und unterstützen somit den Ideenfluss.
Einige Beispiele für Förderphrasen sind:
Das ist eine großartige Idee!
Kann ich Ihnen helfen, diese Idee weiter zu entwickeln?
Sie müssen diese Idee unbedingt realisieren!
Darf ich Sie unterstützen?
Was müssen wir als Nächstes tun?
Förderphrasen bilden die Grundlage für Aufwärm- und Einstimmungsspiele für den Ideenworkshop. Sie sind überraschend, machen Spaß und versetzen die Teilnehmer in eine positive und konstruktive Stimmung.