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Warum fällt die Einführung einer Marktneuheit einem Startup leicht, während es für viele etablierte Unternehmen schwer oder sogar unmöglich ist? Dafür gibt es einige Gründe; einige – vorwiegende kulturelle – haben wir im diesem Beitrag angesehen. Ein weiterer Grund ist die Art und Weise, wie Unternehmen mit Ungewissheiten umgehen.

Etablierte Unternehmen neigen dazu, den selben Innovationsprozess für Marktneuheiten zu verwenden, den sie für Produktverbesserungen und -ergänzungen verwenden. Dies ist der bekannte „Wasserfall“-Prozess, der mit einer vollständigen Spezifikation beginnt und diese in einer linearen Reihenfolge implementiert. Dieses Vorgehen beruht auf der Annahme, dass das zu entwickelnde Produkt mit allen Eigenschaften und Features von Anfang an bekannt ist. Diese Annahme mag zwar gerechtfertigt sein, wenn es sich um ein bekanntes Produkt für einen bekannten Markt handelt, für neuartige Lösungen ist sie es aber nicht.

Das große Problem mit dieser Methode ist, dass sie „alles auf eine Karte setzt“: alle Annahmen über das Produkt, die zu Beginn gemacht werden, müssen zutreffen, da sie nicht mehr in Frage gestellt werden. Gilt eine entscheidende Annahme nicht, wird das Produkt zu einem Flop. Eines der spektakulärsten Beispiele für ein Scheitern dieser Art ist Webvan, ein US-amerikanisches Unternehmen, das Lebensmittel nach Hause lieferte. Webvan arbeitete zwei Jahre lang mit falschen Annahmen und musste Insolvenz anmelden, nachdem es mehr als 800.000.000$ Investorenkapital aufgebraucht hatte. In einem früheren Beitrag haben wir eine Studie der Unternehmensberatung Kienbaum zitiert, die das Schicksal vieler Produktideen verfolgt hat. Von den 176 Produkten, die am Markt eingeführt wurden, haben 124 gefloppt und weitere 24 nur Verluste eingefahren. Offenbar haben die Innovationsprozesse, die diese Produktfehlschläge hervorgebracht haben, nicht alle Annahmen über die Märkte geprüft.

Diese Gefahr, auf das falsche Pferd zu setzen, führt zu einem zweiten Problem, das stark innovationshemmend wirkt. Aus Angst vor dem Scheitern und den hohen Verlusten, die damit verbunden sind, werden vielversprechende Innovationsprojekte gar nicht erst genehmigt. Dieses Phänomen haben wir in großen Organisationen häufig beobachtet. Um eine GO-Entscheidung für eine innovative Idee politisch, psychologisch und geschäftlich zu erleichtern, muss das Risiko, das damit verbunden ist, reduziert werden. Die positiven Auswirkungen der Discovery-Driven Innovation auf das Risiko werden wir in einem späteren Beitrag näher erläutern.

Um diese Probleme zu vermeiden, braucht es also einen neuen Umgang mit innovativen Ideen. Dieser Ansatz muss Folgendes leisten:

  • Es wird in kurzen, leicht zu rechtfertigenden Schritten gearbeitet.
  • GO-Entscheidungen binden nur geringe Mengen an Ressourcen.
  • Ungewissheiten werden nach und nach abgebaut. (Es wird nicht alles auf ein Pferd gesetzt.)

Wir nennen unseren Ansatz für die frühen Innovationsphasen Discovery-Driven Innovation (DDI). Discovery-Driven Innovation basiert auf den folgenden Axiomen:

  1. Zu Beginn des Innovationsprozesses ist nichts sicher; alle Aussagen über Produkt, Markt, Preise, Kundennutzen, Implementierung usw. sind nur Annahmen oder Schätzungen. Wir nennen sie Hypothesen, weil sie noch nicht bewiesen sind und sich durchaus noch als Irrtümer herausstellen können.
  2. Ein Arbeitsschritt bei DDI besteht darin, eine Hypothese entweder neu zu entwickeln oder zu prüfen. Das Ziel der Prüfung ist, die Hypothese zu validieren bzw. zu widerlegen.
  3. Der Aufwand für die Prüfung der Hypothesen wird so gering wie möglich gehalten.
  4. Gute Hypothesen führen zu einem großen Gewinn an Gewissheit im Verhältnis zu ihrem Prüfaufwand.
  5. Der Zyklus aus Hypothesenaufstellung und -überprüfung wird so lange wiederholt, bis eine valide Hypothese gefunden worden ist. Erst dann darf man zur nächsten (teureren!) Phase des Innovationsprozesses wechseln.

Discovery-Driven Innovation hat sehr vieles gemeinsam mit dem Lean Startup-Konzept von Eric Ries und Steve Blank. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass DDI für existierende Unternehmen gedacht ist, während Lean Startup für die Gründungsphase eines neuen Unternehmens entwickelt wurde. So muss DDI Faktoren wie Politik und Strategischer Fit berücksichtigen, die für ein existierendes Unternehmen wichtig sind, bei einem Startup aber unbekannt sind.

Die Graphik zeigt die Vorgehensweise von Discovery-Driven Innovation. Der Prozess ist in Phasen eingeteilt; diese Phasen entsprechen der zunehmenden Gewissheit über die Erfolgschancen einer Geschäftsidee. In Phase 1 geht es um die Grundvoraussetzungen wie beispielsweise das Vorhandensein eines Kundenproblems und die Notwendigkeit für eine bessere Lösung. In späteren Phasen werden Spezialfragen wie Marketing-Botschaften und Preismodelle geklärt. Die Inhalte der Phasen zu wählen ist die erste Herausforderung der DDI. Diese liegen zum Teil auf der Hand – es macht zum Beispiel keinen Sinn, Produkteigenschaften festzulegen bevor geklärt worden ist, dass überhaupt ein Markt für das Produkt besteht.

Die Aufgabe jeder einzelnen Phase ist, Lösungsvorschläge für die darin enthaltenen Aufgaben zu entwickeln und diese dann zu validieren. Da es zunächst nicht bekannt ist, ob die Lösungsvorschläge überhaupt funktionieren, werden sie Hypothesen genannt. Hypothesen, die nicht validiert werden können, müssen durch neue ersetzt werden; dies wird Iteration genannt. Erst wenn alle Hypothesen in einer Phase validiert worden sind, geht der Prozess in die nächste Phase über.

Wichtig an der Validierung ist, dass sie möglichst schnell und billig durchgeführt wird. An dieser Forderung scheitert der klassische Innovationsprozess. Gilt es zum Beispiel zu prüfen, ob sich das Internet als Informationskanal eignet, (d.h. ob die Zielgruppe das Internet nutzt, um eine Lösung für ihr Problem zu suchen), genügt es, eine einfache Landeseite zu erzeugen und diese mit Google Adwords eine Woche lang zu bewerben. Man kann dann mit Hilfe von Tools wie Google Analytics messen, wie hoch das Interesse war und wie die Besucher mit der Web-Seite umgegangen sind. Das Ganze dauert nur eine Woche und kostet maximal ein paar Hundert Euro. Um diese Hypothese zu validieren braucht es nicht einmal eine Produktspezifikation – von einem Prototypen oder sogar einem fertig entwickelten Produkt ganz zu schweigen!

Diese Vorgehensweise ähnelt sehr stark der wissenschaftlichen Methode, mit der vor allem die Natur- und Ingenieurwissenschaften seit Jahrhunderten Wissen erweitern und Technologie vorantreiben. In der Wissenschaft werden zunächst Hypothesen – das heißt Vermutungen darüber, wie sich eine Sache verhält – aufgestellt und anschließend durch Experimente geprüft. Wird die Hypothese durch das Experiment bestätigt, so kann man sie als Arbeitsgrundlage verwenden; wird sie durch das Experiment widerlegt, so muss sie verworfen und durch eine neue ersetzt werden. Die Visualisierung der wissenschaftlichen Methode (siehe hier und hier für Beispiele) beschreibt daher sehr gut auch die Discovery-Driven Innovation. Eine weitere sehr gute Analogie ist das sogenannte User-Centered Design, das eine fast identische Darstellung für ihre Vorgehensweise verwendet.

Eine Stelle im frühen Innovationsprozess, an der Unternehmen häufig mit ungeprüften Annahmen arbeiten, die sich später als Irrtümer erweisen, sind Annahmen über den Kundennutzen ihres geplanten Produktes. So glaubte Daimler beispielsweise mit der Einführung der A-Klasse junge Kunden anzusprechen, die einen Mercedes-Benz zum günstigeren Preis bekommen. Tatsächlich aber wurde das Modell von Senioren bevorzugt, für die die höhere Sitzposition ein leichteres Einsteigen ermöglichte.

In der Praxis kann Discovery-Driven Innovation in einem Format betrieben werden, das dem des bekannten Stage-Gate-Prozesses ähnlich ist. Dies hilft, Akzeptanz bei Kunden zu erhöhen, die ihn schon kennen oder einsetzen. (Inhaltlich unterscheiden sich Stage-Gate und DDI aber grundlegend!) Workshops werden im Wechsel mit Arbeitsphasen durchgeführt, wobei die Workshops zur Bewertung der Prüfungsergebnisse und zur Entwicklung von neuen Hypothesen dienen und die Arbeitsphasen für die Prüfung verwendet werden. Je nachdem, auf welche Weise der Kunde imstande und gewillt ist, Ressourcen für seinen Innovationsprozess bereitzustellen, können wir mit ihm ein Innovationstempo erreichen, der fast das eines Startups erreicht. Wie das geht werden wir in einem zukünftigen Beitrag erläutern.

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