Was haben effektive Ideenproduktion und eine Kunsttheorie aus dem 19. Jahrhundert miteinander zu tun?
Im Theater erleben wir, dass Romeo und Julia am Ende des Stücks sterben, obwohl wir wissen, dass die Menschen auf der Bühne Schauspieler sind und dass weder der Dolch noch das Gift echt sind. Im Kino sind wir bereit, zu akzeptieren, dass ein schüchterner junger Mann sich in einen Superhelden verwandelt, wenn er von einer radioaktiven Spinne gebissen wird. Um unterhalten zu werden, gehen wir als Publikum auf die Prämissen des Autors und der Inszenierung ein, ganz gleich, wie unmöglich und durchschaubar sie sein mögen.
Der englische Dichter Coleridge hat diese Bereitschaft des Zuschauers, die Regeln der Fantasiewelt zu akzeptieren die „willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit“ genannt. Sie ist die Voraussetzung für die Unterhaltung bzw. den Kunstgenuss. Niemand will beim Fernsehen neben einem Menschen sitzen, der ständig Kommentare wie Tiere können doch nicht sprechen! oder Niemand könnte einen solchen Sturz überleben! von sich gibt.
Ganz ähnlich verhält es sich während der Ideenproduktion. Viele Ideenproduktionstechniken verwenden Anregungen, die der Wirklichkeit nicht entsprechen. Die Mr. X Technik beispielsweise stellt Fragen wie Was würde Indiana Jones an unserer Stelle tun? Damit diese Anregung nutzbar wird, müssen die Mitwirkenden bereit sein, sich auf diese fiktive Situation einzulassen. Noch extremer ist die Provokationstechnik, die sogar gezielt die bekannte Wirklichkeit verfälscht: Was wäre, wenn Orangensaft mich zum Frühstück trinken würde?, Was wäre, wenn wir unser Produkt verschenken würden?. Der Teilnehmer, der an dieser Stelle protestiert (Indiana Jones ist nur erfunden!, Das können wir doch nicht machen!) zerstört die Ideenproduktion sofort. Doch gibt es immer wieder Menschen, die genau dies tun.
Man muss also für eine erfolgreiche Ideenproduktion genau das Gleiche tun, wie im Kino: bereit sein, die Prämissen zu akzeptieren und mit ihnen zu arbeiten. Weder will der Drehbuchautor in Hollywood tatsächlich behaupten, dass Sie mit Warp-Geschwindigkeit zu den Sternen reisen können noch will der Drehbuchautor Ihres Innovationsworkshops ernsthaft vorschlagen, dass Sie Ihre Produkte verschenken sollen. Das Ziel des Kinobesuchs ist die Unterhaltung, und das Ziel des Ideenworkshops ist die Produktion von guten Ideen, und die vielleicht absurd wirkenden Voraussetzungen und Anregungen sind ja nur Mittel zum Zweck.