von Graham Horton

Die fünf Wunscheigenschaften einer Geschäftsidee
Die perfekte Geschäftsidee ist die, die die größtmöglichen Erfolgschancen hat. Dafür muss sie fünf bestimmte Eigenschaften haben, die glücklicherweise leicht zu beschreiben und zu prüfen sind. Diese fünf Eigenschaften nennen wir die 5U-Prüfung; Wir setzen sie sowohl in unseren Innovationsworkshops ein, um schnell die attraktivsten Ideen zu identifizieren als auch im Startup-Coaching, damit die Gründer mit einer möglichst guten Idee starten.
Drei Arten von Kundenbedürfnis
Es gibt drei Kategorien von Geschäftsideen, die sich in der Art des Kundenbedürfnisses unterscheiden, die sie befriedigen sollen. Diese werden oft Pains, Gains und Jobs to be Done genannt.
Jobs to be Done (zu erledigende Aufgaben) sind einfach Aufgaben, die der Kunde erledigen muss. Im privaten Bereich sind das zum Beispiel Auto tanken, Wohnung aufräumen oder Wäsche waschen. Beispiele für Unternehmen sind Gebäudereinigung, Lohnbuchhaltung oder Fuhrparkverwaltung. Geschäftsideen in diesem Bereich haben den Vorteil, dass die Nachfrage danach stabil ist, aber den Nachteil, dass die Konkurrenz sehr groß ist.
Gains (Fortschritte, Zugewinne) sind Sachen, die sich der Kunde wünscht, die aber nicht notwendig sind. Beispiele dafür aus dem Konsumbereich sind Modeartikel, Unterhaltung und Luxusgüter. Bei Unternehmen sind das Betriebsausflüge oder riskante Innovationsprojekte.
Pains (Schmerzen) sind Probleme, die ein Kunde hat und lösen möchte. Beispiele aus dem privaten Bereich sind Krankheiten, Ängste oder ein Auto, das nicht anspringt. Für Unternehmen könnten das rechtliche Schwierigkeiten, der Verlust von Marktanteilen oder schrumpfende Gewinne sein.
Für ein Startup sind die besten Geschäftsideen solche, die ein Problem der Zielgruppe lösen. Hier ist die Konkurrenz am geringsten, und die Aufmerksamkeit der Zielgruppe am leichtesten zu erreichen. Dies gilt besonders für Geschäftskunden. Dementsprechend sind die fünf Eigenschaften einer Geschäftsidee in Wirklichkeit Eigenschaften des Kundenproblems, das sie löst.
Die Nichterfüllung der fünf Kriterien bedeutet natürlich nicht, dass eine Geschäftsidee nicht erfolgreich werden kann. Es gibt viele Beispiele für erfolgreiche Startup-Produkte, die an dieser Prüfung gescheitert wären, zum Beispiel Facebook oder Twitter. Nur, je weniger ausgeprägt die 5U-Eigenschaften sind, desto mehr hängt der Erfolg eines Produktes von schwer steuerbaren Faktoren und auch dem Zufall ab.
Die 5U-Prüfliste für die perfekte Geschäftsidee
Die „fünf Us“, die ein perfektes Kundenproblem beschreiben, sind:
- Urgent (dringend): Je dringender das Kundenproblem, desto leichter ist es, Aufmerksamkeit für eine neue Lösung zu gewinnen. Kopfschmerzen oder ein plötzlicher Umsatzeinbruch sind Beispiele für dringende Probleme.
- Unavoidable (unvermeidbar): Der Kunde kann dem Problem nicht aus dem Weg gehen. Ein Beispiel sind Rechtsvorschriften.
- Unsolvable (unlösbar): Der Kunde kann das Problem allein nicht lösen, zum Beispiel weil ihm die Fachkenntnisse oder die Technologie dazu fehlt.
- Untenable (nicht haltbar): Es kommt für den Kunden nicht in Frage, das Problem einfach zu dulden oder auszusitzen, zum Beispiel ein ständig sinkender Marktanteil bei einem Kernprodukt.
- Underserved (ungenügende Lösungen vorhanden): Am Markt werden keine oder keine befriedigenden Lösungen für das Problem angeboten.
In der Praxis gibt es selten Probleme, die in allen fünf Dimensionen eine hohe Bewertung bekommen. Für die, die es gibt, würden Angebote auch nicht lange auf sich warten lassen, es sei denn es fehlt dafür die entscheidende Technologie.
Darum sind die fünf Listeneinträge eher als graduelle Eigenschaften zu behandeln, zum Beispiel mit einer Punkteskala von 1 bis 10. Eine Geschäftsidee gilt dann als attraktiv, wenn sie in allen Dimensionen mindestens 6 Punkte erhält oder wenn sie in zwei Dimensionen eine 9 oder eine 10 bekommt.
Eine geringe Bewertung lässt sofort spätere Herausforderungen erwarten. Ist beispielsweise das Merkmal Underserved nur wenig ausgeprägt, wird das Startup sich gegen viele Konkurrenten behaupten müssen. Ist das Kundenproblem nicht Urgent, könnte es schwierig werden, die Aufmerksamkeit und das Interesse der Zielgruppe für eine Lösung zu wecken.
Natürlich gibt es viele weitere Kriterien, die helfen, die Qualität einer Geschäftsidee zu entscheiden. Einige davon findet man in der VALUEPROP-Checkliste für Wertversprechen. Marktgröße und Defensibilität fehlen zum Beispiel. Darum sollten die 5U immer in Verbindung mit anderen Bewertungswerkzeugen eingesetzt werden.
Beispiele
Ein Produkt, das bei seiner Einführung in den 1940er Jahren alle fünf Kriterien erfüllte ist Penizillin: Das Medikament konnte viele Krankheiten heilen, die schmerzhaft und oft tödlich waren und für die keine alternative Heilmethode bekannt war.
Ein Scheidungsanwalt erfüllt vier der fünf Kriterien: Er hilft, ein dringendes Problem zu lösen, das sein Mandant weder alleine lösen noch vermeiden kann, das aber auf jeden Fall gelöst werden muss. Lediglich das Kriterium Underserved wird nicht erfüllt: es gibt bereits viele solche Anwälte.
Eine B2B-Dienstleistung, die Daten von kaputten Computer-Festplatten rekonstruiert, punktet ziemlich hoch bei den Kriterien Urgent, Unsolvable und Untenable wenn die verlorenen Daten für das betroffene Unternehmen wichtig sind.
Gründer neigen dazu, Geschäftsideen vorzuschlagen, die an mehreren Kriterien scheitern: Der häufigste Grund für das Scheitern von Startups ist, dass sie ein Produkt bauen, das niemand kaufen wollte. Darum lautet auch das Motto des Startup-Accelerators Y Combinator auch Build something people want. Die 5U-Checkliste erklärt auch, warum viele Investoren Investitionen in Computerspielefirmen meiden: Ein Computerspiel erfüllt keine der fünf Kriterien.
Viele Patente gehören ebenfalls zur Kategorie Lösung ohne Problem, zum Beispiel die Staubhaube für Hunde oder die Zehenpuppe. Das US Patentamt hat geschätzt, dass nur etwa 0,2% aller Patente kommerziell werthaltig sind.
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Kompaktwissen Ideenbewertung
von Graham Horton

Ein weiteres, oft zitiertes Servitization-Beispiel betrifft den britischen Sprengstoffhersteller ICI-Nobel, ein Folgeunternehmen der Firma, die Alfred Nobel in Schottland gründete, um das von ihm erfundene Dynamit herzustellen.
Die Ausgangssituation
Die ICI-Nobel Explosives Company in Großbritannien war Hersteller von Sprengstoffen für den Einsatz im Kohlebergbau. Mit dem Niedergang dieser Industrie wechselte ICI-Nobel zu Sprengstoffen für Steinbrüche. Diese waren aber in den Augen der Kunden Commodities, was zu intensivem Preisdruck führte und keinerlei Kundenloyalität mit sich brachte. Das Ergebnis war, dass die Steinbrüche jederzeit ohne Ankündigung Lieferungen verlangten, und ICI-Nobel war dazu gezwungen, diese Anfragen zu bedienen, um Aufträge nicht zu verlieren. Dies war sehr ineffizient, weil ein Fuhrpark vorgehalten werden musste, der nicht gut ausgelastet war.
Da ICI-Nobel gegenüber seinen Konkurrenten auch keine Effizienzvorteile in der Produktion hatte, war seine Wettbewerbsposition insgesamt sehr schwach.
Die Servitization-Idee
ICI-Nobel hatte aber eine wertvolle Ressource: Die Firma verfügte über tiefe Kenntnisse im Sprengen und besaßen einen Simulator, mit dem die Lage der Bohrlöcher für die Sprengstoffe und die Zündsequenz optimiert werden konnten. Auf der Grundlage dieser Kompetenz führte ICI-Nobel eine neue Dienstleistung für Steinbrüche ein, die die Planung der Sprengung, das Bohren und die Bestückung der Löcher und die Sprengung selbst umfasste.
Vorteile
Durch diese Dienstleistung mussten die Steinbrüche keine Sprengstoffe mehr einkaufen. Vielmehr kauften sie eine Dienstleistung ein, die sie mit losen Steinbrocken versorgte, die sie nur noch vom Boden aufheben mussten. Dadurch mussten sie keine Facharbeiter mehr beschäftigen oder gefährliche Sprengstoffe lagern.
Durch seine neue Dienstleistung konnte ICI-Nobel eine hohe Kundenbindung erreichen, weil das Unternehmen einen einmaligen Nutzen angeboten hat, das auch eine Integration in die Prozesse seines Kunden erforderlich machte. Damit sind auch automatisch Eintrittsbarrieren gegenüber Konkurrenten entstanden. Das Ergebnis waren hohe Gewinne, wo das Unternehmen zuvor mit ständigen sinkenden Margen zu kämpfen gehabt hatte.
Kommentar
Dieses Beispiel zeigt sehr gut einige typische Merkmale der Servitization.
Der Kundennutzen muss neu definiert werden: An die Stelle eines austauschbaren Produktes, dessen Nutzen der Kunde durch eigene Aktivitäten selbst realisieren musste, tritt ein neuer Mehrfachnutzen, der sich aus Komfort, Risikoverringerung und Kostenersparnis zusammenstellt.
Die Grundlage des neuen Dienstleistungsangebotes war in diesem Servitization-Beispiel eine Kernressource des Lieferanten, die Effizienzsteigerungen im Kundenprozess ermöglichte, aber bisher nicht – oder nicht in vollem Maße – wertschöpfend eingesetzt worden war.
Ferner verlangte das Produkt vom Kunden eigene Spezialisten und teure Maßnahmen, die nicht zu seinem Kerngeschäft gehörten, aber beim Lieferanten bereits vorhanden waren. In einer solchen Situation liegt es auf der Hand, dass eine geeignete Dienstleistung zu einer Verbesserung der Gesamteffizienz führen kann.
Literatur
R. W. Schmenner: Manufacturing, service, and their integration: some history and theory, International Journal of Operations & Production Management, 29, 5 (2009), pp. 431-443.
Bildquelle:
Wikimedia Commons (Lizenz: Public domain)
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Was ist Servitization?
Argumente für Servitization aus Lieferantensicht
Servitization – Die Vorteile für den Kunden
Beispiel für Servitization: Power by the Hour
von Graham Horton

Wir sind diese Woche in Singapur bei der Tagung der International Society for Professional Innovation Management (ISPIM). Hier trifft sich ein internationales Publikum aus Akademikern und Innovationsmanagern, um sich über Innovation auszutauschen.
Wir haben schon am ersten Tag interessante Präsentationen gehört, zum Beispiel von Google über die Bildung einer innovationsfreundlichen Unternehmenskultur und Tata über Innovationsworkshops im großen Konzern. Unsere erste Erkenntnis aus den Gesprächen: Die Unternehmen aus der ganzen Welt haben mit diesen Themen die gleichen Herausforderungen, wie wir sie aus unserer Arbeit mit Auftraggebern aus Deutschland kennen.
Wir präsentieren hier unseren Entwurf für eine Geschäftsmodellarchitektur für Startups. Wir sind der Meinung, dass sich die Geschäftsmodellschablone, die fast überall verwendet wird, für ein Startup nur wenig geeignet ist und haben daher Verbesserungen vorgenommen, die besonders in der erste Startup-Phase eine bessere Hilfe bieten sollen.
Bildquelle: Wikipedia Commons, hochgeladen vom Benutzer Chensiyuan. Benutzt mit folgender Lizenz.
von Graham Horton

Ein oft zitiertes Beispiel für Servitization ist das Power by the Hour-Angebot des Triebwerkherstellers Rolls Royce. Mit dieser Innovation hat Rolls Royce nicht nur Vorteile für sich und seine Kunden bewirkt, sondern auch preisgünstige Fluglinien wie SouthWest Airlines möglich gemacht.
Vorgeschichte
In den 1960er Jahren führte der britische Triebwerkshersteller Bristol Siddeley eine Dienstleistung für Geschäftsflugzeuge ein, bei der Triebwerke und Ersatzteile für einen Festpreis zur Verfügung gestellt wurden. Das Besondere daran war, dass das Preismodell ein fester Betrag pro geflogene Stunde war. Dieses Angebot wurde Power by the Hour getauft. Durch ihn konnten die Betreiber der Flugzeuge ihre Betriebskosten genauer kalkulieren, und sie mussten keine Ersatzteile vorhalten.
1968 wurde Bristol Siddeley von Rolls Royce, einem anderen Triebwerkshersteller, aufgekauft. Ungefähr 15 Jahre später hat Rolls Royce den Power-by-the-hour-Gedanken wieder aufgegriffen und ausgebaut; Das Ergebnis ist ein Service, der heute TotalCare heißt.
TotalCare
Die Motivation für Rolls Royce, TotalCare einzuführen war, ihren Kundenservice zu verbessern und den Kunden zu helfen, Kapitalausgaben in Betriebsausgaben zu verwandeln. Hinzu kam, dass ihre Gewinnmargen im Ersatzteilmarkt durch Drittanbieter bedroht wurden.
Die Voraussetzung für TotalCare war die Neudefinition des Kundennutzens: Verkauft wurde nicht mehr ein High-Tech-Gerät, sondern die Leistung, Flugzeuge durch die Luft zu bewegen. Dies hat ein Manager von Rolls Royce wie folgt beschrieben: Wir entwickeln diese hochwertigen Triebwerke, in denen die Turbinenblätter Temperaturen aushalten müssen, die höher sind, als der Schmelzpunkt des Metalls aus dem sie gebaut sind. […]. Aus technologischer Sicht sind sie großartig, [aber unsere Kunden sehen sie nur als ein] Rohr, das sie an ihre Flugzeuge schrauben, damit sie planmäßig und zuverlässig am Ziel ankommen.
TotalCare umfasst die Bereitstellung des Triebwerkes zusammen mit dessen Überwachung, Wartung und Reparatur für die gesamte Lebensdauer des Gerätes. Dabei bleibt das Triebwerk Eigentum von Rolls Royce: Die Fluglinien bezahlen für die Dienstleistung, die das Triebwerk erbringt. Damit müssen sie nichts bezahlen, wenn das Triebwerk ruht oder außer Betrieb ist.
Vorteile für die Kunden
Die Vorteile für die Fluglinien sind laut Aussage von Rolls Royce:
- Die Zuverlässigkeit der Triebwerke wird belohnt.
- Finanzielle Risiken werden reduziert.
- Die Betriebskosten werden planbar.
- Die Verfügbarkeit der Triebwerke wird erhöht.
- Verbesserungsmaßnahmen werden automatisch ausgeführt.
Darüber hinaus bedeutet Power-by-the-hour, dass Triebwerkhersteller und Fluglinie beide ein Interesse daran haben, dass das Triebwerk zuverlässig arbeitet und eine lange Lebensdauer hat.
Sensorik und Datenanalyse
Um die Risiken zu verringern und die Profitabiltät der Dienstleistung zu erhöhen, hat Rolls Royce ein aufwendiges Überwachungssystem für ihre Triebwerke entwickelt, das Betriebsdaten ständig an die Zentrale übermittelt. Darüber hat Sir John Rose, ein ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Rolls Royce gesagt:
Mit den Echtzeitdaten, die wir per Satellit erhalten, können wir Ereignisse erkennen, und unsere Ingenieure können Ferndiagnosen durchführen. Wenn ein Triebwerk vom Blitz getroffen wird, würde man unter normalen Bedingungen das Flugzeug landen müssen und einen Ingenieur herbeirufen, der das Triebwerk überprüft, den Schaden ermittelt und entscheidet, ob das Flugzeug deswegen liegen bleiben muss, bis die Reparatur durchgeführt werden kann. Aber Fluglinien haben nicht viel Zeit zwischen Landung und Start. Wenn der Start verzögert werden muss, muss die Besatzung abbestellt werden, und die Startfreigabe für den Rückflug geht verloren. Das ist sehr teuer. Wir können die Leistung der Triebwerke in Echtzeit beobachten und analysieren, und unsere Ingenieure können die notwendigen Entscheidungen treffen schon bevor das Flugzeug gelandet ist. Und wenn wir mit Hilfe der Triebwerksdaten feststellen können, dass keine Maßnahmen erforderlich sind, kann das Flugzeug planmäßig zurückfliegen, was unseren Kunden Zeit und Geld spart.
Vorteile für den Anbieter
TotalCare bringt auch für Rolls Royce eine Reihe von Vorteilen:
- Das Unternehmen kann Flugzeughersteller umgehen und direkte Geschäftsbeziehungen mit den Fluggesellschaften aufbauen. Dies verbessert seine Verhandlungsposition in der Wertschöpfungskette.
- Der Umsatz ist gestiegen – Rolls Royce macht jetzt 50% seiner Umsätze durch hochwertige Dienstleistungen.
- Der Erlösestrom ist stetiger geworden und ist weniger anfällig gegenüber konjunkturellen Schwankungen.
Ein positiver Nebeneffekt der standig gesammelten Betriebsdaten ist ein verbessertes Design neuer Triebwerke.
Weitere Folgen
In der Zwischenzeit bieten auch andere Triebwerkhersteller wie General Electric und Pratt & Whitney ähnliche Dienste an.
Schließlich hat das Power-by-the-hour-Geschäftsmodell die Entstehung der Niedrigpreisfluglinien möglich gemacht, weil dadurch die notwendigen Kapitalausgaben für Flugzeuge gesunken sind.
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Definition von Servitization
Argumente für Servitization aus Lieferantensicht
Servitization – Die Vorteile für den Kunden
Servitization-Beispiel: Sprengen im Steinbruch
von Graham Horton

Marktpotential in der Bewertung von Geschäftsideen
Eines der wichtigsten Bewertungskriterien für eine Geschäftsidee ist die Größe ihres Marktes. Ist sie zu klein, lohnt sich die Investition nicht, und die Idee kann nicht verwirklicht werden. Aus diesem Grund ist eine Schätzung der Marktgröße ein Pflichtbestandteil jedes Business Cases bzw. Business Plans, das in einem Unternehmen oder von einem Startup vorgelegt werden muss, um Mittel für die Entwicklung der Idee zu erhalten.
Besonders für Startups hat sich ein Modell für die Angabe der Marktgröße etabliert, das von Kapitalgebern bevorzugt wird: die TAM, SAM und SOM-Märkte. Durch die Standardisierung sollen die Gefahr von Missverständnissen reduziert und für Investoren aussagefähige Daten geliefert werden. Bedauerlicherweise kursieren aber verschiedene Bezeichnungen und Interpretationen dieses Modells, sodass Gründer und Investoren sicherstellen müssen, dass sie von der selben Sache sprechen.
TAM, SAM und SOM
Die Abkürzungen TAM, SAM und SOM stehen für die folgenden drei Märkte:
- TAM: Total Addressable Market oder Total Available Market
- SAM: Serviceable Addressable Market oder Served Available Market
- SOM: Serviceable Obtainable Market oder Share of Market
Die Titelgrafik zeigt die Beziehungen zwischen den drei Märkten.
Jeder dieser Märkte macht eine andere Aussage: Der SOM zeigt, was mit der Geschäftsidee kurzfristig erreichbar ist, das Verhältnis SOM / SAM beschreibt den zunächst angestrebten Marktanteil, und der TAM zeigt das größtmögliche Marktpotential.
TAM: Total Addressable Market
Der TAM beantwortet die Frage, Wer könnte (rein theoretisch) das Produkt kaufen? Er umfasst die gesamten Ausgaben, die für die Leistung, die das Produkt erbringt, ausgegeben werden. Er beschreibt die Erlöse, die theoretisch möglich wären, wenn das Unternehmen mit seinem Produkt ein allumfassendes Monopol hätte.
Für die Berechnung des TAM werden alle Faktoren außer Acht gelassen, die das Unternehmen daran hindern könnten, diesen Zustand zu erreichen. Insbesondere werden Wettbewerber, Kapazitätsbeschränkungen in Produktion oder Lieferung, Sprachbarrieren oder geografische Entfernungen ignoriert.
Der TAM zeigt dem Investor, was potentiell möglich wäre, wenn das Unternehmen durch entsprechende Ergänzungen des Produktportfolios und des Geschäftsmodells in sämtliche Segmente des Marktes hineinwachsen könnte.
Für ihre gegenwärtige Situation hat der TAM für die Gründer kaum eine Bedeutung.
SAM: Serviceable Addressable Market
Der SAM beschreibt den Markt, der mit dem aktuellen Geschäftsmodell prinzipiell angesprochen werden kann. Er beantwortet die Frage, Wer wird die Leistung, die unser Produkt bietet, kaufen (entweder von uns oder von jemand anderem)? oder Welcher Teil des TAMs könnte realistischerweise unser Produkt kaufen?
Die Differenz zum TAM entsteht, indem die Segmente ausgeschlossen werden, die zunächst nicht bedient werden können. Dies könnte beispielsweise daran liegen, dass diese Segmente leicht andere Bedürfnisse haben oder dass sie für die Belieferung zu weit entfernt sind.
Für Investoren ist der SAM wichtig, weil er zeigt, welches Potential die Geschäftsidee mittelfristig hat.
Für die Gründer ist der SAM wichtig, weil er die Zielgruppe für das Produkt darstellt. Je präziser der SAM beschrieben wird, desto effizienter werden die Marketing-Ausgaben ihres Unternehmens sein.
SOM: Serviceable Obtainable Market
Der SOM ist der Teil des SAM, der realistischerweise bedient werden kann. Er beantwortet die Frage, Wer wird die Leistung von uns kaufen? oder Welcher Teil das SAMs ist für unser Geschäftsmodell am angemessensten? Damit zeigt der SOM auf, welche Umsätze in der ersten Wachstumsphase des Unternehmens erzielbar sind.
Für die Berechnung des SOM müssen die folgenden Faktoren berücksichtigt werden:
- Wer mit dem Wertversprechen bedient wird
- Wer mit dem anfänglichen Marketing und Distribution erreichbar ist
- Die aktuelle Wettbewerbssituation
- Die anfängliche Produktionskapazität
Der SOM zeigt den Investoren, was erreicht werden muss, damit sie ihr Geld nicht binnen kurzer Zeit verlieren. Für die Gründer gibt er die kurzfristigen Unternehmensziele vor.
Beispiele
Qualitatives Beispiel: Wortspiel-App
Die Geschäftsidee ist eine Spiele-App für das iPad, mit dem Kinder ihren Wortschatz aufbauen können. Die drei Märkte TAM, SAM und SOM könnten wie folgt definiert werden:
- Der TAM besteht aus allen Tablet-Besitzern weltweit, die ihren Wortschatz verbessern möchten.
- Der SAM besteht aus allen Eltern von schulpflichtigen Kindern und Schulen im deutschsprachigen Raum, die ein iPad besitzen.
- Der SOM besteht aus allen Eltern von Kindern im ersten Schuljahr in Deutschland, die ein iPad besitzen und ihr Kind aktiv fördern möchten.
In diesem Beispiel ist der SOM dadurch begründet, dass das Unternehmen zunächst einen Marketing-Kanal nutzen will, der ausschließlich Eltern von Schulanfängern erreicht und ihre Programmier- und Redaktionskapazitäten nur die Entwicklung für iOS bzw. die Inhalte für einen Jahrgang zulassen.
Qualitatives Beispiel: Verleih für Haushalts- und Gartengeräte
Die Geschäftsidee besteht darin, teure Geräte, die im Haushalt nur selten benutzt werden, zu verleihen. Beispiele sind Dampfreiniger oder hohe Leiter. TAM, SAM und SOM könnten wie folgt definiert werden:
- Der TAM besteht aus allen Haushalten in reichen Ländern.
- Der SAM besteht aus allen Haushalten in Deutschland.
- Der SOM besteht aus allen Hauseigentümern in einer bestimmten Großstadt.
Quantitatives Beispiel
Wir nehmen an, für eine Geschäftsidee sind die folgenden Schätzungen für TAM, SAM und SOM erarbeitet worden:
- TAM = 1 Mrd. €
- SAM = 50 Mio. €
- SOM = 2,5 Mio. € nach zwei Jahren und 6 Mio. € nach vier Jahren
Ferner wird angenommen, dass die Gewinnmarge vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) 25% beträgt. Der Unternehmenswert sei das Achtfache des EBITDA.
Es wird ein Investor gesucht, der das Startup mitfinanzieren soll. Dieser hat eine Renditeerwartung von 1000%, das heißt, er möchte sein Geld verzehnfachen. Ihm wird ein Unternehmensanteil von 20% angeboten, für den er 125.000 € bezahlen muss.
Der SOM gibt dem Investor einen Hinweis, ob er seine Investitionsziele erreichen kann:
Wenn die Planzahlen nach zwei Jahren erreicht werden, beträgt der Gewinn 2,5 Mio. * 0,25 = 0,625 Mio. €, und das Unternehmen ist 8 * 0,625 Mio. € = 5 Mio. € wert. Der Wert des Investoranteils ist 5 Mio. € * 0,2 = 1 Mio. €, was einer Verachtfachung seines eingesetzten Kapitals entspricht.
Wenn das Unternehmen auch nach vier Jahren seine Planergebnisse erreicht, ist der Gewinn (EBITDA) 6 Mio. € * 0,25 = 1,5 Mio. €, und das Unternehmen ist 1,5 Mio. € * 8 = 12 Mio. € wert. Der Investoranteil ist 12 Mio. € * 0,2 = 2,4 Mio. €. Wenn die Gesellschafter das Unternehmen jetzt verkaufen würden, würde der Investor also das 19,2-fache (= 2,4 Mio. € / 0,125 Mio. €) seiner Anlage erhalten.
Das Unternehmen hat jetzt einen Marktanteil von 6 Mio. € / 50 Mio. € = 12% in einem Segment, das 50 Mio. € / 1 Mrd. € = 5% des gesamten Marktes ausmacht. Jetzt könnte das Unternehmen sein Geschäftsmodell anpassen und weiteres Wachstum im SAM anstreben. Würde es ihm gelingen, den gleichen Marktanteil von 12% zu erobern, wäre es dann nach der gleichen Berechnung 240 Mio. € wert, und der Investorenanteil wäre 240 Mio. € * 0,2 = 48 Mio. € wert. Glaubt der Investor, dass dies möglich ist, könnte er also (bei gleichbleibendem Anteil) bis zu 4,8 Mio. € in die Expansion investieren, um sein Ziel zu erreichen.
Tipps für die Anwendung
Der SAM kann auch in Phasen gestaffelt werden. Beispielsweise könnte der Geräteverleih planen, sich Bundesland für Bundesland auszudehnen.
Je schärfer SAM vom TAM und SOM vom SAM abgegrenzt werden können, desto besser, weil es für die Investoren überzeugender ist und präzisere Marketing-Maßnahmen ermöglicht.
Es gibt zwei typische Fehler, die bei der Anwendung von TAM, SAM und SOM begangen werden. Der erste Fehler besteht darin, den SAM oder SOM einfach als kleinen Anteil eines sehr großen TAMs zu definieren. Dies wird im Englischen der 1%-aller-Chinesen-Fehler genannt, weil er sinngemäß wie folgt beginnt: Wenn wir nur 1% aller Chinesen dazu bekommen könnten, unser Produkt zu kaufen, … Dabei wird übersehen, dass es nahezu unmöglich ist, 1% aller Chinesen mit einem Angebot zu erreichen. Jay Samit umschreibt diesen Denkfehler im Wall Street Journal so: Wenn jeder Amerikaner nur einmal pro Woche ein Hamburger aus Kaninchenfleisch (statt aus Rindfleisch) essen würde, könnten wir jedes Jahr 12 Milliarden Kaninchen verkaufen.
Der zweite Fehler besteht in einem Missverständnis des TAM. Wenn die Geschäftsidee ein Internet-Shop für Damenhüte ist, ist der TAM nicht sinnvoll definiert durch die schlichte Beobachtung, dass es auf der Erde drei Milliarden Frauen gibt, die einen Kopf haben. Ich habe selbst diese Erfahrung gemacht: Ein Gründer-Team hatte eine Idee für eine Unternehmenssoftware mit einer sehr spezifischen Funktion. Das Team hatte recherchiert, dass der weltweite Markt für Unternehmenssoftware rund 100 Mrd. € beträgt und hat daraus geschlossen, dass ihr TAM ebenfalls 100 Mrd. € betrug…
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