Die Herausforderung der Servitization
Servitization bedeutet in mehrfacher Hinsicht eine große Herausforderung für ein Unternehmen. Der Wechsel von einem Hersteller zu einem Dienstleister wirkt sich auf nahezu jeden Aspekt eines Unternehmens aus: Kompetenzen, Ressourcen, Kundenbeziehungen, Risikomanagement und Finanzierung müssen grundlegend geändert werden, wenn diese Innovation am Geschäftsmodell gelingen soll.
Da das Service-Geschäft auch für die Unternehmensleitung oft unbekanntes Terrain ist, werden Werkzeuge und Denkmodelle benötigt, die die verfügbaren Alternativen und deren Vor- und Nachteile aufzeigen und vergleichen. Die erworbenen Kenntnisse bilden dann die Grundlage für die Formulierung einer Servitization-Strategie. In diesem Beitrag zeigen wir ein eigenes Modell, das wir für den Einsatz in unseren Innovationsworkshops entwickelt haben.
Das Modell
Das Modell zeigt sechs verschiedene Kategorien von Servitization. Sie werden in einer 3×2-Matrix organisiert, die auf der vertikalen Achse den Empfänger der Dienstleistung und auf der horizontalen Achse die Herkunft der Dienstleistung unterscheidet.
Feld 1: Produkt/Kunde
Das Feld in der unteren linken Ecke beschreibt Dienstleistungen am Produkt, die zuvor vom Kunden selbst durchgeführt wurden. Dies sind die naheliegendsten Kandidaten für die Servitization. Es kann sich aus wirtschaftlichen Gründen für den Käufer einer teuren und komplizierten Anlage anbieten, die Wartung oder Instandhaltung nicht selbst zu machen, sondern an den Hersteller abzugeben.
Wenn der Vertrag einen Tagessatz oder einen Pauschalbetrag für die Dienstleistung vorsieht, ist die Hürde für Käufer und Hersteller niedrig. Sieht er aber eine kennzahlenbezogene Entlohnung (zum Beispiel nach geleisteten Betriebsstunden der Anlage) oder eine Verfügbarkeitsgarantie vor, ist die Schwelle höher, weil für beide Seiten mit neuen Bedingungen und Risiken versehen.
Feld 2: Kunde/Kunde
Auch im Feld oben links übernimmt der Hersteller eine Leistung, die bisher beim Kunden lag, allerdings bezieht diese sich in diesem Fall nicht direkt auf das Produkt. Dies könnten beliebige technische Dienstleistungen sein wie Entwicklung, Test oder auch Installation. Diese Services könnten die Folge eines temporären Engpasses beim Kunden oder aber auch eine dauerhafte Einrichtung sein. Das zweite Beispiel in diesem Feld ist die Finanzierung des Produktes – der Hersteller könnte hier günstigere Konditionen anbieten als die interne Finanzierungsquelle des Kunden. Finanzdienstleistungen können aber auch zum Feld 4 (Kunde/Dritte) gehören, wenn der Hersteller an die Stelle eines dritten Finanzierers tritt.
Feld 3: Produkt/Dritte
Im Feld 3 (unten Mitte) bietet der Hersteller Dienste an, die mit dem Produkt zusammenhängen und bisher von Dritten durchgeführt wurden. Ein einfaches Beispiel ist der Transport des Produktes (zum Beispiel zum Einsatzort). Eine aufwendigeres Beispiel sind Zertifizierungen, zum Beispiel die vom Gesetzgeber regelmäßig geforderten Sicherheitsprüfungen.
Feld 4: Kunde/Dritte
Zu diesem Feld gehören – wie bereits erwähnt – Finanzdienstleistungen. Es könnte im Interesse des Herstellers liegen, günstigere Konditionen anzubieten als eine Bank, wenn dies beispielsweise für die Kundenbindung förderlich ist.
Feld 5: Produkt/Neu
Im Feld unten rechts stehen Dienstleistungen am Produkt, die es bisher noch nicht gegeben hat. Ein Beispiel ist die Fernüberwachung des Produktes im Betrieb. Das Produkt wird vom Hersteller mit Sensoren ausgetattet, die Information über den Status wichtiger Komponenten senden. Damit können vorbeugende Wartungsmaßnahmen effizienter geplant werden oder im Falle eines drohenden Versagens schnell die Reparatur eingeleitet werden. Dieser Dienst wird oft bei teuren, komplexen Geräten und Anlagen wie Hubschrauber oder Großrechner angeboten.
Das zweite Beispiel in diesem Feld sind Verfügbarkeitsgarantien: Der Hersteller garantiert eine bestimmte Verfügbarkeit seines Produktes. Diese Garantie wird sinnvollerweise nur in Verbindung mit der Betreuung des Gerätes ausgesprochen. Außerhalb des Servitization-Kontexts gehören solche Garantien bei IT-Dienstleistungen zur Normalität.
Feld 6: Kunde/Neu
Im letzten Feld oben rechts stehen bisher nicht existierende Dienstleistungen ohne unmittelbaren Bezug zum Produkt. Pay-per-use und Risikoverteilung (risk-sharing) werden – wie die Verfügbarkeitsgarantie – im Zusammenhang mit der Betreuung des Produktes angeboten. Da der Hersteller nicht das Gerät, sondern dessen Funktion verkauft, werden Bezahlmodelle möglich, denen die tatsächlich geleistete Arbeit des Gerätes zugrunde liegt (und nicht der Eigentumserwerb). Bei dieser Konstellation ist es auch möglich, das Ausfallrisiko zwischen Kunde und Hersteller aufzuteilen.
Links
Argumente für Servitization aus Lieferantensicht
Wann lohnt sich Servitization für einen Teilehersteller?
Das klassische Beispiel für Servitization
Zuletzt aktualisiert am 15. Mai 2024 von Graham Horton