Das Strategy Canvas ist ein praktisches Tool für Produkt- und Innovationsmanager, um ihr Angebot mit den wichtigsten Konkurrenzprodukten zu vergleichen. Es identifiziert mögliche Marktlücken und liefert wertvolle Hinweise zur Optimierung des eigenen Produkts. So kann ein Unternehmen neue Alleinstellungsmerkmale etablieren und dadurch eine bessere Produktdifferenzierung gewinnen.
Das Strategy Canvas wurde von Chan Kim and Renée Mauborgne in ihrem Buch Blue Ocean Strategy eingeführt.
Strategy Canvas und Commoditisierung
Das Ziel des Strategy Canvas ist, Gelegenheiten zur Produktdifferenzierung aufzuzeigen. Dies ist vor allem dann nützlich, wenn sich das Produkt in einem starken Wettbewerb befindet. Im Extremfall ist es eine Commodity – das heißt, es hat keine Merkmale, die es von seinen Konkurrenten unterscheidet. Dies ist der ‚rote Ozean‘, von dem Kim und Mauborgne sprechen.
Durch die Verstärkung oder Abschwächung eines Merkmals kann das Produkt besser an die Bedürfnisse eines Marktsegments angepasst werden, und durch das Hinzufügen neuer, unerwarteter Merkmale können möglicherweise neue Marktsegmente erschlossen werden. In beiden Fällen wird die Konkurrenzfähigkeit des Produktes gestärkt.
Der Aufbau des Strategy Canvas
Das Strategy Canvas ist ein Parallelkoordinatendiagramm. Das Titelbild zeigt ein Beispiel. Die einzelnen Koordinatenachsen entsprechen unterschiedlichen Produktmerkmalen, die bei der Zielgruppe eine Kaufentscheidung eine Rolle spielen. Es sind die Faktoren, in die die Hersteller investieren und die ihre Wettbewerbsstrategien charakterisieren.
Die senkrechte Achse zeigt den Grad der Ausprägung der verschiedenen Merkmale. Sie kann sowohl quantitativ als auch qualitativ sein.
Der Hintergrundgedanke des Strategy Canvas
Die Methode geht davon aus, dass es Marktsegmente mit verschiedenen Eigenschaften gibt.
- Segmente, die unzufrieden sind, weil sie Merkmale bezahlen müssen, die sie entweder nicht interessieren oder die für ihre Bedürfnisse überdimensioniert sind.
- Segmente, die noch keine Kunden sind, weil ihnen bestimmte Merkmale fehlen, oder weil Merkmale vorhanden sind, die sie ablehnen.
- Segmente, die sich bei bestimmten Merkmalen eine noch höhere Leistung wünschen.
- Segmente, die bestimmte Leistungskonfigurationen von Merkmalen wünschen.
Durch entsprechende Anpassungen des Produktes können diese Segmente besser bedient oder sogar erstmalig erschlossen werden.
Das Strategy Canvas ausfüllen
Das Strategy Canvas wird in vier Schritten aufgebaut:
- Wettbewerbsfaktoren identifizieren und auf der horizontalen Achse eintragen.
- Die Skalierung für jeden Faktor wählen. Das kann von einer ja/nein Frage bis zur quantitativen Skala sein.
- Die Profillinie des eigenen Produktes im Diagramm eintragen.
- Die Profillinien für ein oder mehrere Wettbewerbsprodukt(e) eintragen.
Anwendung
Im Titelbild konkurrieren die Produkte rot, grün, gelb und blau in einem bestimmten Marktsegment. Es gibt sechs wichtige Merkmale, deren Ausprägung niedrig, mittel oder hoch sein kann. Die aktuelle Leistung der vier Produkte ist mit durchgehenden Linien dargestellt und ist überall ungefähr gleich. Die vier Produkte sind also direkte Wettbewerber.
Vier Ansätze zur Produktdifferenzierung
Das Bild zeigt vier Ansätze zur Differenzierung (die sogenannte Four Actions Framework). Diese heißen bei Blue Ocean Eliminate (Entfernen), Reduce (Reduzieren), Raise (Verstärken) und Create (Einführen).
Verstärken
Gelb hat ein Marktsegment entdeckt, das sehr viel Wert auf eine hohe Leistung bei Merkmal 1 legt. Der Hersteller kann diese Leistung erhöhen (gelbe gestrichelte Linie), um die der anderen drei zu übertreffen. Dadurch wird das gelbe Produkt in diesem Segment zum Marktführer.
Reduzieren
Grün hat ein Marktsegment entdeckt, das wenig Wert auf Merkmal 5 legt. Grün könnte die Leistung hier reduzieren, um den Kaufpreis des Produktes für dieses Segment zu senken (gestrichelte Linie).
Entfernen
Für ein Marktsegment, das gegenüber Merkmal 6 gleichgültig ist, kann Rot dieses Merkmal aus dem Produkt entfernen und so den Kaufpreis senken.
Einführen
Einführen ist der spannendste Ansatz. Hier geht es darum, ein neues Merkmal zu erfinden, das sonst keiner hat. Das gibt dem Produkt – für kurze Zeit jedenfalls – ein Quasi-Monopol. Im Titelbild ist das durch die blaue gestrichelte Linie dargestellt, die das Produktprofil und das Diagramm um ein weiteres Merkmal nach rechts verlängert.
Wer soll mitmachen?
Das Canvas ist nur dann nützlich, wenn die Merkmale gut gewählt sind und die relativen Leistungswerte gut geschätzt sind. Darum sollte es von Mitarbeitern erstellt werden, die einen guten Marktüberblick haben und die Zielgruppe gut kennen. Andernfalls kann das Werkzeug zu teuren Trugschlüssen führen.
Beispiele
Unsere Ideen- und Innovationsworkshops
Die Grafik zeigt das Strategy Canvas für unsere eigenen Ideen- und Innovationsworkshops in blau:
Zum Vergleich sind zwei Kategorien von Workshops eingetragen. Das grüne Profil zeigt den typischen kleinen Kreativworkshop. Das rote Profil zeigt einen längeren Innovationsworkshop, der oft mehr Themen als die reine Ideenfindung abdeckt.
Das Canvas enthält neun Merkmale:
Preis
Der Preis für unsere Workshops ist am hohen Ende des Spektrums. Dies rechtfertigen wir durch den höheren Nutzen, den die Workshops bieten.
Keynotes
Bei den großen Workshops enthalten oft Keynote-Vorträge oder Referate. Diese vermeiden wir, weil sie erfahrungsgemäß wenig zum Ergebnis beitragen.
Scope
Unsere Workshops haben nur die Ideenproduktion zum Ziel. Im Gegensatz dazu haben die roten Workshops oft weitere Innovationselemente wie Design Thinking, Business Plan-Erstellung oder Prototypenbau. Darauf verzichten wir, weil diese Aktivitäten in einen größeren Kontext als einen Workshop gehören.
Dauer
Wir haben festgestellt, dass 1,5 Tage die optimale Dauer für einen Workshop ist. Die Zeit reicht für alle Phasen der Ideenfindung – von der Einstimmung ins Thema bis zur Wahl und Diskussion der Siegerideen. Der Grenznutzen einer längeren Veranstaltung rechtfertigt eine Ausdehnung nicht.
Ideenproduktion*
Es gibt viele Methoden zur Ideenfindung. Wir verwenden nur strukturierte Methoden, weil die Ideenfindungsaufgaben unserer Kunden meistens sehr anspruchsvoll sind. Methoden wie die Suchfeldmatrix erlauben es uns, gezielte und problemnahe Inspirationen bereitzustellen, was mit einfacheren Methoden wie Brainwriting schlecht möglich ist.
*Nach der Deutschen Gesellschaft für Kreativität sind die vier Typen von Kreativitätstechnik:
- Techniken der freien Assoziation
- Konfrontationstechniken
- Techniken der strukturierten Assoziation
- Konfigurationstechniken
Material
Unser Workshop-Material ist vollständig auf die Aufgabenstellung zugeschnitten. Wir entwerfen und drucken alle Unterlagen wie Inspirationen, Analogien, Ideenbewertungsbögen selbst. Der bekannte Moderationskoffer, den man in guten Seminarhotels findet, kommt bei uns nicht zum Einsatz.
Bewertung
Das bekannte Dot-Voting reicht für anspruchsvolle Aufgaben nicht aus. Unsere Auftraggeber haben vielfältige Erfolgskriterien wie voraussichtliche Umsatzrendite, Marktpotenzial, Passfähigkeit zum Unternehmen oder Entwicklungsaufwand, die bei der Bewertung berücksichtigt werden sollen.
Stil
Viele Workshops sind verspielt, oder haben ‚kreative‘ Elemente. Dagegen verstehen wir die Ideenfindung als Engineering-Aufgabe, und unsere Workshops haben zwar eine Atmosphäre, die locker ist und Spaß macht, aber in der Hauptsache auf das Ziel fokussiert sind.
Briefing
Wir vereinbaren mit unseren Auftraggebern ein ausführliches Briefing-Dokument. Dieses Dokument ist das Ergebnis eines Kennenlerngesprächs und enthält Ziele, Muss-Kriterien und Erfolgskriterien für die Ideen. Daran wird später der Erfolg des Workshops gemessen. Unsere Auftraggeber sind oft Geschäftsführer oder Abteilungsleiter von technischen Unternehmen, und sie schätzen dieses Dokument als eine Art Lastenheft, das sie aus dem Projektmanagement kennen.
Weitere Beispiele
Das Internet hat einige Strategy Canvas-Beispiele:
- blueoceanstrategy.com zeigt Strategy Canvas-Beispiele für ein Mobiltelefon, den Öffentlichen Verkehr, eine Weinmarke, eine Spendeninitiative und eine Hotelkette.
- Beim Harvard Business Review findet man ein Canvas für inländische Fluglinien in USA.
- medium.com hat ein Beispiel für Online-Seminare.
- Der Cirque du Soleil bei researchgate.net
Strategy Canvas und Ideenworkshops
Bei drei der vier Ansätze des Four Actions Framework ist es im Prinzip klar, was zu tun ist: ein Produktmerkmal wird verstärkt, abgeschwächt oder eliminiert. (Natürlich kann es eine technische Herausforderung sein, eine gute Leistung noch weiter zu erhöhen.) Der vierte Ansatz Create (Einführen) ist aber anders: es soll ein neues Merkmal gefunden werden, das für ein möglicherweise noch unbekanntes Marktsegment attraktiv ist. Hierfür liefert das Canvas keine Hinweise.
Create ist für uns am interessantesten, weil es eine Kreativherausforderung ist und deswegen eine Aufgabe für einen Ideenworkshop. Dieser Workshop nutzt spannende Fragen, zum Beispiel:
- Zur Zeit kauft die Zielgruppe A Produkte wie dieses nicht. Sie würde sich aber dafür interessieren, wenn es die Eigenschaft B bekommen würde. Wer ist A und was könnte demzufolge B sein?
Das berühmte Beispiel von Kim und Mauborgne ist der kanadische Zirkus Cirque du Soleil. Dieser hat sich eine einzigartige Stellung erschaffen, indem er neue Merkmale des Theaters wie Tanz und Musik erschaffen hat. Dadurch hat er sich für ein kulturell anspruchsvolles Publikum attraktiv gemacht, das bisher nicht in den Zirkus gegangen ist.
Vorteile und Nachteile
Vorteile des Strategy Canvas sind:
- Es liefert ein verständliches Bild von der aktuellen Wettbewerbslandschaft, in der sich ein Produkt befindet.
- Es zeigt Gelegenheiten zur Produktdifferenzierung auf.
Nachteile des Strategy Canvas sind:
- Für die Maßnahme Einführen (Create) liefert es keinen Hinweis, welche neuen Merkmale möglich und relevant sind.
- Wenn Merkmale gewählt werden, die für die Zielgruppe wenig Bedeutung haben, kann es zu Trugschlüssen führen.
Links
Kompaktwissen innovationsmanagement
Zuletzt aktualisiert am 29. August 2024 von Graham Horton