von Graham Horton

Wachstumsorientierte Geschäftsmodellinnovation
In reifen Märkten ist Wachstum allein durch inkrementelle Produktinnovation kaum noch möglich. Hier erfüllen Verbesserungen am Produkt hauptsächlich die defensive Funktion, die Commoditisierung abzuwenden. Um offensive Ziele wie Wachstum oder Diversifizierung zu erreichen, sind oft Änderungen am gesamten Geschäftsmodell erforderlich.
Eines der derzeit bekanntesten Beispiele für eine solche Geschäftsmodellinnovation ist Apple, die sich von einem Nischenhersteller von Rechnern zu einem Marktführer in persönlichen Medien gewandelt hat. Apple bietet heute nicht nur ihren Rechner Macintosh an, sondern auch iPod, iPhone und iPad. Zusätzlich verdient Apple durch ihre Medienplattformen iTunes und Appstore durch die Erzeugnisse von Softwareherstellern, Musikern und Filmstudios. Den Umsatzanteil durch Macintosh betrug im ersten Quartal 2014 nur rund 11%. Dieser Wandel im Geschäftsmodell wurde 2007 durch eine Namensänderung von Apple Computer zu Apple dokumentiert.
Die Branchenregeln aufheben
Eine Chance zum Wachstum in einem reifen Markt liegt darin, eine von allen Marktteilnehmern geglaubte „Regel“ zu brechen, um einen neuen Kundennutzen oder eine neue Business-Architektur zu erhalten. Wem dies als Erster gelingt, genießt die First Mover-Vorteile und – zumindest vorübergehend – ein Monopol. Dieser Vorgehensweise wurde seit dem Erscheinen des Buches Blue Ocean Strategy von W. Chan Kim und Reneé Mauborgne im Jahr 2005 viel Aufmerksamkeit geschenkt.
Das Paradebeispiel von Kim und Mauborgne für das Brechen der Branchenregeln ist der kanadische Zirkus Cirque du Soleil. Indem er auf traditionelle Elemente des Zirkus wie Tiere verzichtete und der Vorstellung Aspekte einer Oper- oder Theaterdarbietung gab, wurde ein völlig neue Art von Unterhaltung geboren, die auch für neue Zielgruppen attraktiv war. Inzwischen ist Cirque du Soleil ein multinationales Unternehmen mit etwa 4000 Mitarbeitern und einem jährlichen Umsatz von mehr als 800 Millionen US-Dollar.
Beispiel: IKEA
Die Titelgrafik zeigt eine Parallelkoordinatendiagramm, in dem das Geschäftsmodell von IKEA den traditionellen „Regeln“ der Möbelbranche gegenübergestellt sind. (Seit Blue Ocean wird dieses Diagramm oft Strategy Canvas genannt.) Es sind die folgenden sieben Koordinatenachsen eingetragen:
- Brand: IKEA ist eine Marke mit einer starken Präsenz, die ein klares Bild im Kopf des Verbrauchers erzeugt. Selbst jetzt, mehr als 50 Jahre nach der Eröffnung des ersten Möbelhauses, gibt es keine vergleichbare Marke in der Branche.
- Auswahl: Während traditionelle Möbelhäuser nur ein relativ kleines Angebot hatten, bot IKEA eine Vielzahl an Alternativen bei fast allen Möbelarten an.
- Verfügbarkeit: Alle im Haus ausgestellten Waren können sofort mitgenommen werden; im traditionellen Möbelhandel musste man 6 Wochen oder länger auf die Anfertigung der bestellten Stücke warten.
- Gesamtkonzept: Der Besuch in einem IKEA-Haus ist ein Erlebnis, das sich nicht auf Warenausstellung beschränkt, sondern auch Kinderparadies, Café und schwedische Lebensmittelspezialitäten erstreckt.
- Lebensdauer: Die Haltbarkeit vieler IKEA-Produkte ist sehr gering im Vergleich zu klassischer Möbel.
- Service: IKEA bot keine Lieferung nach Hause und berühmterweise nicht einmal den Aufbau der Produkte – dies war (und ist heute noch) dem Kunden überlassen. Dieses Merkmal wurde zum Wahrzeichen von IKEA.
- Preisgünstig: Der Preis für IKEA-Möbel lag deutlich unter dem traditionell hergestellter und vertriebener Produkte.
IKEA hat also mit seinem Geschäftsmodell – zumindest in Bezug auf diese sieben Parameter – die Regeln der Branche auf den Kopf gestellt. Die blaue Linie, die IKEA im Diagramm kennzeichnet, verläuft genau entgegensetzt zu der roten Linie, die die Branche bis dahin beschreibt. Inzwischen haben andere Anbieter natürlich IKEA in manchen Punkten nachgemacht, und IKEA hat auch Änderungen vorgenommen. (Es gibt beispielsweise mittlerweile einen Lieferdienst.)
Es ist heute schwer nachvollziehbar, wie radikal die Entscheidung von damals war, Tische und Schränke aus flachen Komponenten zu bauen, die im sogenannten Flatpack verpackt extrem platzsparend transportiert und gelagert werden konnten. Die ermöglichte Effizienzen in der Logistik, die mit aufgebauten Möbelstücken nicht zu erreichen waren. Die so entstandene Kostenersparnis konnte an den Kunden weitergegeben werden. Auf einmal wurde Möbel für junge Menschen erschwinglich, und der Selbstaufbau zu einem Symbol des Unabhängigwerdens vom Elternhaus. So ist aus einem Ein-Mann-Unternehmen ein Konzern mit mehr als 28 Milliarden Euro Umsatz im Jahr geworden.
Anwendung
Eine Geschäftsmodellinnovation erfolgreich durchzuziehen, die nicht nur die eigene Organisation, sondern auch die Regeln der Branche auf den Kopf zu stellen, ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Dazu bildet ein Unternehmen ein Projektteam, das in mehrmonatiger Arbeit die Regeln des eigenen Marktes analysiert und geeignete Kandidaten ausfindig macht. Es werden auch Innovationsworkshops durchgeführt, um einen größeren Kreis von Mitarbeitern, externe Experten oder Kunden in den Prozess zu integrieren.
Drehbuch und Moderation solcher Workshops sind sehr anspruchsvoll, und es werden gute Werkzeuge (wie den oben gezeigten Strategy Canvas) benötigt. Der Moderator muss erfahren sein, um die unbewussten Annahmen der Teilnehmer zu erkennen und mit entsprechenden Beiträgen in Frage zu stellen. Demzufolge kommen Provokationen sehr oft zum Einsatz.
Viele erfolgreiche Geschäftsmodellinnovationen waren zum Zeitpunkt ihrer Einführung radikale Brüche mit dem Gewohnten. Es lohnt sich, sich darüber bewusst zu machen, wie die Vorschläge damals gewirkt haben müssen:
- Wir bauen die Möbel gar nicht auf (IKEA).
- Man kann ohne Geld einkaufen (Kreditkarte).
- Der Kunde muss die Ware selbst aus dem Regal holen (Supermarkt).
- Wir verkaufen nicht mehr Flugzeugtriebwerke, sondern Schubstunden (Rolls Royce).
- Unsere Kunden stellen die Bausätze zusammen, die wir verkaufen (LEGO).
- Anstatt wie bisher Rechner zu bauen, zu denen es gelegentlich auch eine Dienstleistung gab, wollen wir in Zukunft IT-Dienstleistungen anbieten, zu denen hin und wieder auch Rechnerhardware gehören könnte (IBM).
Diese Übung hilft, Mut zu „Regelverstößen“ im eigenen Umfeld zu machen.
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Kompaktwissen Geschäftsmodellinnovation
von Graham Horton

Geschäftsmodell-Ideen durch Vorbilder
Die Mr. X-Technik ist eine einfache Methode, um Ideen zu finden. Sie nutzt fremde Personen oder Organisationen als Perspektivwechsel, die entweder rein zufällig gewählt werden oder einen gewissen Vorbildcharakter für die Aufgabenstellung haben.
Aus diesem Grund eignet sich die Methode, um Ideen für ein Geschäftsmodell zu finden, denn es liegt bei der Suche nach Ideen für ein Geschäftsmodell nahe, zu betrachten, welche Lösungen andere Unternehmen bereits erfolgreich verwirklicht haben.
In diesem Artikel stellen wir mit dem „IBMisieren“ eine besondere Inszenierung der Mr. X-Technik vor, die sich für den Einsatz im Innovationsworkshop anbietet.
Das Geschäftsmodell ‚IBMisieren‘
Voraussetzung für die Durchführung der Methode ist eine vorbereitete Liste von Unternehmen mit erfolgreichen Geschäftsmodellen. Die Wortwolke in der Titelgrafik enthält beispielweise die folgenden Namen:
- IBM
- Sixt
- Uber
- eBay
- Apple
- Virgin
- Zynga
- Cartier
- Disney
- Google
- Kilenda
- Amazon
- De Beers
- Vodafone
- McKinsey
- Salesforce
- McDonalds
- Volkswagen
- Tupperware
- Y Combinator
- Commerzbank
- Rocket Internet
- Deutsche Bahn
- Deutsche Börse
- General Electric
- Bayern München
Die Perspektivwechsel haben dann alle den gleichen Aufbau: Wie könnten wir unser Geschäftsmodell IBMisieren?
Es sind natürlich viele weitere Unternehmen auch möglich. Wichtig ist aber, dass ihre Geschäftsmodelle den Workshop-Teilnehmern bekannt sind.
Beispiele
- Perspektivwechsel: Wie könnten wir unser Geschäftsmodell tupperwareisieren?
Rohidee: Ausgewählte Kunden als Vertriebspartner gewinnen.
- Perspektivwechsel: Wie könnten wir unser Geschäftsmodell mcdonaldisieren?
Rohidee: Marketing-Partnerschaften mit anderen Unternehmen nutzen.
- Perspektivwechsel: Wie könnten wir unser Geschäftsmodell kilendaisieren?
Rohidee: Das wirtschaftliche Potential von Produkten heben, deren Nutzungsdauer kürzer ist, als ihre Lebensdauer.
- Perspektivwechsel: Wie könnten wir unser Geschäftsmodell commerzbankisieren?
Rohidee: Wir bieten unseren Kunden die Finanzierung des Kaufs unserer Produkte an.
Varianten
Die Technik funktioniert gut in internationalen Workshops, weil bekanntlich gilt: In English, every word can be verbed. Auf Deutsch darf aber nicht jedes Wort „geverbt“ werden, sodass eine gewisse Verspieltheit bei den Teilnehmern erforderlich ist.
Wem die Verbisierung von Unternehmensnamen nicht gefällt, kann auf konservativere Formulierungen ausweichen, zum Beispiel:
- Was könnten wir vom Geschäftsmodell von Bayern München lernen?
- Was würde McDonalds an unserem Geschäftsmodell ändern?
Neben den Eigennamen von Unternehmen können auch Industrien, Unternehmensarten, Produktgattungen oder Berufe eingesetzt werden, zum Beispiel:
- Wie könnten wir unser Geschäftsmodell bergwerkisieren?
- Wie könnten wir unser Geschäftsmodell kinoisieren?
- Wie könnten wir unser Geschäftsmodell werkzeugkastenisieren?
- Wie könnten wir unser Geschäftsmodell feuerwehrmannisieren?
Nach unserer Erahrung freuen sich kreativ veranlagte Workshop-Teilnehmer über solche Anregungen, was natürlich für die Ideenfindung sehr förderlich ist. Die konservativeren Formulierungen betrachten wir nur als Rückfallposition.
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Kompaktwissen Geschäftsmodellinnovation
Kompaktwissen Ideenfindung
Wortwolke erstellt bei wordle.net
von Graham Horton

Workshops für die Geschäftsmodellierung
Innovationsworkshops sind im Rahmen eines Projektes zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle ein hilfreiches Werkzeug. Da die Geschäftsmodellierung nicht immer jedem Teilnehmer geläufig ist, es oft hilfreich, sie zunächst an das Konzept heranzuführen. Dafür setzen wir gern eine spielerische Übung ein, die schnell die wichtigsten Elemente des Geschäftsmodells vorstellt und zudem noch Spaß macht.
Das Kuhspiel
Zunächst wird den Teilnehmern der Aufbau eines Geschäftsmodells erklärt. Für Standardsituationen verwenden wir dafür die Business Model Canvas. Danach werden sie in Teams eingeteilt, und der Moderator schenkt jedem Team eine Kuh. Dann haben die Teams 15 Minuten Zeit, um so viele Geschäftsmodelle wie möglich zu entwickeln, die eine Kuh als Kernressource verwenden. Danach werden die lustigsten Lösungen in der Gruppe vorgestellt. Die Übung funktioniert deswegen gut, weil viele der entwickelten Modelle absurd sind.
Beispiele
- Die Kuh wird an den Schlachthof verkauft. Es gibt einen einmaligen Verkaufserlös.
- Milch wird als Produkt verkauft. Der Kunde ist eine Bauernkooperative. Es muss eine Magd eingestellt werden, um die Kuh zu melken. Es gibt tägliche Erlöse aus dem Verkauf der Milch. Kosten sind Lohn für die Magd und Futter für die Kuh. Werteversprechen sind gesunde Ernährung und Naturbelassenheit.
- Die Kuh wird an eine Streichelfarm für Stadtkinder vermietet. Es gibt monatliche Mieterlöse. Kosten gibt es keine.
- Es werden Reitstunden auf der Kuh gegeben. Kunden sind Grundschulen in der Region.
- Die Kuh wird als „Rasenmäher“ vermietet. Kunden sind Hausbesitzer in der selben Stadt. Wertversprechen ist ein gutes Gefühl durch ökologische Korrektheit. Erlöse werden in „gemähten“ Quadratmetern berechnet. Als weitere Ressource wird ein Junge gebraucht, der die Kuh zum Einsatzort und wieder zurück führt.
(Natürlich kann jedes beliebige Objekt ansteller der Kuh verwendet werden. Einzige Bedingung ist, dass (mit ein bisschen Fantasie) viele verschiedene Geschäftsmodelle daraus gemacht werden können.)
Bildquelle: openclipart.org
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Kompaktwissen Geschäftsmodellinnovation
von Graham Horton

Die Struktur eines Geschäftsmodells
Ein Geschäftsmodell zeigt, wie wichtige Komponenten des Unternehmens zusammenspielen, um Werte zu schaffen und aus dieser Wertschöpfung Gewinne zu erzielen. Es dient als Blaupause bei einer Unternehmensgründung und als Gestaltungswerkzeug bei der Unternehmensentwicklung.
Es gibt viele verschiedene Vorschläge zur Beschreibung von Geschäftsmodellen; Die meisten von ihnen habe die Form einer Schablone. Die Titelgraphik zeigt eine Geschäftsmodellschablone, die wir in unseren Innovationsworkshops verwenden. Dieses Modell umfasst neun Komponenten und ist eine Synthese aus mehreren Vorschlägen, insbesondere des Business Model Canvas von Alex Osterwalder. Die neun Komponenten sind:
- Das Angebot, also das Produkt des Unternehmens (in diesem Modell werden Dienstleistungen als Produkte behandelt),
- Die Wert schaffenden Aktivitäten, die im Unternehmen betrieben werden, um das Produkt bereitstellen zu können,
- Die Zielgruppe, an die das Angebot vermarktet wird,
- Die Kundenschnittstelle beschreibt die Känale, durch die das Unternehmen Kontakt mit seiner Zielgruppe aufnimmt und unterhält. Hierzu gehören u.a. die Werbestrategie, Vertriebsstruktur, und Maßnahmen zur Kundenpflege,
- Die Kostenstruktur beschreibt die unterschiedlichen Kostenarten, die bei der Bereitstellung und Vermarktung des Angebotes anfallen, beispielsweise Lizenzgebühren, Rohstoffeinkauf und Gehälter,
- Die Erlösestruktur gibt an, auf welchen Wegen das Unternehmen Erlöse einnimmt, z.B. durch Produktverkauf, Mitgliedsgebühren oder Vermittlungsprovisionen,
- Die Kernressourcen sind die wesentlichen und charakteristischen Elemente, die die Voraussetzung für die Wertschöpfung bilden. Hierzu gehören Monopolstellungen, gesetzliche Zulassungen und Kernkompetenzen,
- Das Wertenetzwerk umfasst die externen Partner, mit denen gemeinsam das Angebot hergestellt und vermarktet wird, u.a. Lieferanten, Vertriebspartner und Anbieter komplementärer Produkte,
- Die Wettbewerbsstrategie beschreibt, wie sich das Unternehmen im Wettbewerb positioniert, z.B. in Bezug auf ihre Technologiestrategie, die Differenzierungsmerkmale ihrer Produkte oder ihr Image.
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Kompaktwissen Geschäftsmodellinnovation
von Graham Horton

Die Herausforderung der Servitization
Servitization bedeutet in mehrfacher Hinsicht eine große Herausforderung für ein Unternehmen. Der Wechsel von einem Hersteller zu einem Dienstleister wirkt sich auf nahezu jeden Aspekt eines Unternehmens aus: Kompetenzen, Ressourcen, Kundenbeziehungen, Risikomanagement und Finanzierung müssen grundlegend geändert werden, wenn diese Innovation am Geschäftsmodell gelingen soll.
Da das Service-Geschäft auch für die Unternehmensleitung oft unbekanntes Terrain ist, werden Werkzeuge und Denkmodelle benötigt, die die verfügbaren Alternativen und deren Vor- und Nachteile aufzeigen und vergleichen. Die erworbenen Kenntnisse bilden dann die Grundlage für die Formulierung einer Servitization-Strategie. In diesem Beitrag zeigen wir ein eigenes Modell, das wir für den Einsatz in unseren Innovationsworkshops entwickelt haben.
Das Modell
Das Modell zeigt sechs verschiedene Kategorien von Servitization. Sie werden in einer 3×2-Matrix organisiert, die auf der vertikalen Achse den Empfänger der Dienstleistung und auf der horizontalen Achse die Herkunft der Dienstleistung unterscheidet.
Feld 1: Produkt/Kunde
Das Feld in der unteren linken Ecke beschreibt Dienstleistungen am Produkt, die zuvor vom Kunden selbst durchgeführt wurden. Dies sind die naheliegendsten Kandidaten für die Servitization. Es kann sich aus wirtschaftlichen Gründen für den Käufer einer teuren und komplizierten Anlage anbieten, die Wartung oder Instandhaltung nicht selbst zu machen, sondern an den Hersteller abzugeben.
Wenn der Vertrag einen Tagessatz oder einen Pauschalbetrag für die Dienstleistung vorsieht, ist die Hürde für Käufer und Hersteller niedrig. Sieht er aber eine kennzahlenbezogene Entlohnung (zum Beispiel nach geleisteten Betriebsstunden der Anlage) oder eine Verfügbarkeitsgarantie vor, ist die Schwelle höher, weil für beide Seiten mit neuen Bedingungen und Risiken versehen.
Feld 2: Kunde/Kunde
Auch im Feld oben links übernimmt der Hersteller eine Leistung, die bisher beim Kunden lag, allerdings bezieht diese sich in diesem Fall nicht direkt auf das Produkt. Dies könnten beliebige technische Dienstleistungen sein wie Entwicklung, Test oder auch Installation. Diese Services könnten die Folge eines temporären Engpasses beim Kunden oder aber auch eine dauerhafte Einrichtung sein. Das zweite Beispiel in diesem Feld ist die Finanzierung des Produktes – der Hersteller könnte hier günstigere Konditionen anbieten als die interne Finanzierungsquelle des Kunden. Finanzdienstleistungen können aber auch zum Feld 4 (Kunde/Dritte) gehören, wenn der Hersteller an die Stelle eines dritten Finanzierers tritt.
Feld 3: Produkt/Dritte
Im Feld 3 (unten Mitte) bietet der Hersteller Dienste an, die mit dem Produkt zusammenhängen und bisher von Dritten durchgeführt wurden. Ein einfaches Beispiel ist der Transport des Produktes (zum Beispiel zum Einsatzort). Eine aufwendigeres Beispiel sind Zertifizierungen, zum Beispiel die vom Gesetzgeber regelmäßig geforderten Sicherheitsprüfungen.
Feld 4: Kunde/Dritte
Zu diesem Feld gehören – wie bereits erwähnt – Finanzdienstleistungen. Es könnte im Interesse des Herstellers liegen, günstigere Konditionen anzubieten als eine Bank, wenn dies beispielsweise für die Kundenbindung förderlich ist.
Feld 5: Produkt/Neu
Im Feld unten rechts stehen Dienstleistungen am Produkt, die es bisher noch nicht gegeben hat. Ein Beispiel ist die Fernüberwachung des Produktes im Betrieb. Das Produkt wird vom Hersteller mit Sensoren ausgetattet, die Information über den Status wichtiger Komponenten senden. Damit können vorbeugende Wartungsmaßnahmen effizienter geplant werden oder im Falle eines drohenden Versagens schnell die Reparatur eingeleitet werden. Dieser Dienst wird oft bei teuren, komplexen Geräten und Anlagen wie Hubschrauber oder Großrechner angeboten.
Das zweite Beispiel in diesem Feld sind Verfügbarkeitsgarantien: Der Hersteller garantiert eine bestimmte Verfügbarkeit seines Produktes. Diese Garantie wird sinnvollerweise nur in Verbindung mit der Betreuung des Gerätes ausgesprochen. Außerhalb des Servitization-Kontexts gehören solche Garantien bei IT-Dienstleistungen zur Normalität.
Feld 6: Kunde/Neu
Im letzten Feld oben rechts stehen bisher nicht existierende Dienstleistungen ohne unmittelbaren Bezug zum Produkt. Pay-per-use und Risikoverteilung (risk-sharing) werden – wie die Verfügbarkeitsgarantie – im Zusammenhang mit der Betreuung des Produktes angeboten. Da der Hersteller nicht das Gerät, sondern dessen Funktion verkauft, werden Bezahlmodelle möglich, denen die tatsächlich geleistete Arbeit des Gerätes zugrunde liegt (und nicht der Eigentumserwerb). Bei dieser Konstellation ist es auch möglich, das Ausfallrisiko zwischen Kunde und Hersteller aufzuteilen.
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Definition von Servitization
Arten von Servitization
Argumente für Servitization aus Lieferantensicht
Wann lohnt sich Servitization für einen Teilehersteller?
Das klassische Beispiel für Servitization
von Graham Horton

B2B-Servitization: Der Standardfall
Servitization bezeichnet eine Geschäftsmodellinnovation, bei der ein Produkthersteller dazu übergeht, eine Kombination aus Produkt und Dienstleistung anzubieten. Servitization hat viele Vorteile, sowohl für den Lieferanten, als auch für den Kunden. Sie wird vor allem von Premiumherstellern als wichtige strategische Maßnahme zur Sicherung der eignen Marktposition gesehen.
Ein klassisches Beispiel für die B2B-Servitization ist ein OEM-Hersteller im B2B-Geschäft, dessen Kunden eine Dienstleistung für den Endverbraucher bereitstellt. Dies könnte zum Beispiel ein Hersteller von Bussen sein, dessen Kunden städtische Betriebe sind oder ein Kraftwerkhersteller, der an Energieversorger verkauft. In solchen Situationen ist die Servitization naheliegend, wie dieser Artikel zeigen will.
Vor der Servitization
Die Titelgrafik zeigt die Situation eines OEM-Herstellers (links), dessen Kunden (Mitte) mit Hilfe seiner Produkte eine Dienstleistung an Endkunden (rechts) erbringen. Dies könnte zum Beispiel ein Baggerhersteller sein, dessen Kunden Bauunternehmen sind, die wiederum für ihre Kunden Gebäude, Straßen usw. errichten.
Der obere Teil der Grafik, der gelb unterlegt ist, zeigt die traditionelle Situation ohne Servitization: Der Hersteller setzt seine Kernkompetenzen ein, um das Produkt (den Bagger) herzustellen, das er an das Bauunternehmen für einen Einmalpreis verkauft. Das Bauunternehmen nutzt den Bagger in Verbindung mit seinen eigenen Kernkompetenzen, um seine eigene Dienstleistung zu erbringen. Diese Kernkompetenzen sind zum Beispiel Ingenieurtätigkeiten wie Entwurf und Statikberechnungen sowie Projektmanagement und Baustellenlogistik.
Darüber hinaus muss das Bauunternehmen Sekundärkompetenzen bereitstellen, die mit dem Betrieb des Baggers in Verbindung stehen. Dazu gehören Wartung, Reparatur, Instandsetzung und Entsorgung. Dies sind aus seiner Sicht Sekundärprozesse, die mit seinen Kernkompetenzen nichts zu tun haben und mit denen er kein Geld verdienen kann. Sie sind für ihn nur ein notwendiges Übel. Hierin steckt auch das naheliegende Servitization-Potential für den Baggerhersteller.
Nach der Servitization
Der untere Teil der Grafik, der blau hinterlegt ist, zeigt die Sitation nach der Servitization. Hier verkauft der Hersteller nicht mehr einmalig einen Bagger, sondern die ständige Dienstleistung des Erdebewegens. Ähnlich einer traditionellen Dienstleistung wie ein Friseur interessiert es den Kunden nicht, was dafür erforderlich ist, um den Friseursalon einzurichten und zu betreiben, er will nur jederzeit einen Haarschnitt bekommen, ohne sich dabei um irgendetwas kümmern zu müssen. So ist es jetzt Aufgabe und Veranwortung des Baggerherstellers geworden, dass das Bauunternehmen immer dann Erde bewegt bekommt, wenn er es benötigt.
Die Sekundärprozesse wie Wartung und Instandhaltung sind beim Bauunternehmen verschwunden, weil sie vom Baggerhersteller übernommen worden sind. Für diesen sind es naheliegende Kernkompetenzen, weil sie unmittelbar mit seinem Produkt zusammenhängen. Für das Bauunternehmen sind es dagegen lästige Nebensachen, die ihn von seinen Kernkompetenzen ablenken. In der neuen Situation ruft er einfach die Dienstleistung Erdbewegung auf, wann immer er sie braucht. Nach der reinen Lehre wird auch nach der in Anspruch genommen Dienstleistung bezahlt, in diesem Fall zum Beispiel in Euros pro Meter und Tonne bewegte Erde. (Einfacher abzurechnen, aber nicht dem eigentlichen Dienstleistungsgedanken entsprechend wäre ein Tagespreis wie bei der Autovermietung.)
Beispiel
Eines der bekanntesten Beispiele für Servitization ist das Power-by-the-hour-Angebot namens TotalCare des Triebwerkherstellers Rolls Royce. Indem der Hersteller Wartung und Reparaturen übernimmt, können sich die Fluglinien (neben anderen Vorteilen) mehr auf ihre Kernkompetenz konzentrieren.
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Was ist Servitization?
von Graham Horton

Problemursachen suchen
Das Ishikawa-Diagramm oder Fischgrätendiagramm (englisch: fishbone diagram) ist ein Werkzeug zur Analyse eines Problems. Es ist nach seinem Erfinder, Kaoru Ishikawa bzw. nach seinem Aussehen benannt. Das Diagramm bietet eine Unterstützung durch Visualisierung der möglichen Ursachen für ein Problem. Erst wenn die richtige Ursache gefunden wurde kann mit der Lösung begonnen werden.
Man kann das Ishikawa-Diagramm als eine Verallgemeinerung der Fünf-Warum-Methode interpretieren, die mehrere Ursachenketten gleichzeitig betrachtet. Als Werkzeug im Innovationsmanagement liefern die Ergebnisse der Analyse (d.h. die ausgewählten Einzelursachen) Suchfelder für Ideenfindungsaufgaben.
Aufbau des Ishikawa-Diagramms
Das Diagramm kann als Fischskelett interpretiert werden, mit Kopf und Rückgrat (rot), Rippen (blau) und Gräten (grün). Dabei stellt der Kopf das Problem, die Rippen die Hauptursachen oder Kategorien von Ursachen und die Gräten die einzelnen Ursachen dar. Die Anzahl der Rippen und Gräten im Ishikawa-Diagramm ist nicht vorgegeben: Es werden so viele eingezeichnet, wie benötigt werden, um alle möglichen Ursachen des Problems zu erfassen. Es können auch – falls erforderlich – Gräten an die Gräten gezeichnet werden, die Ur-Ursachen darstellen.
Anwendung
Das Ishikawa-Diagramm ist sehr einfach, anzuwenden. Es werden die folgenden vier Schritte durchgeführt:
- Das zu lösende Problem wird in den Kopf des „Fisches“ eingetragen.
- Für jede Art von Ursache für das Problem wird eine Rippe gezeichnet.
- Für jede mögliche Einzelursache wird eine Gräte an der entsprechenden Rippe gezeichnet.
- Die wahrscheinlichste Einzelursache oder Kombination von Einzelursachen wird identifiziert.
Beispiel
Ein Unternehmen hat sich gerade an einer wichtigen Ausschreibung beteiligt, aber den Zuschlag vom Kunden nicht erhalten. Um ihre Chancen beim nächsten Mal zu verbessern, führt ein Team eine Ursachenanalyse durch:

Als mögliche Hauptursachen für den Verlust des Auftrags wurden gesehen:
- Der Preis des Angebotes war zu hoch.
- Der Kunde hatte irgendwelche Bedenken.
- Die Verkaufspräsentation war nicht überzeugend.
Zu jeder dieser Hauptursachen wurden mehrere mögliche Einzelursachen gefunden. Eine anschließende Recherche hat ergeben, dass der Kunde im Angebot des Unternehmens keine besonderen Vorteile gegenüber seinen Wettbewerbern erkannt hat. Daraus ergab sich für das Team die Ideenfindungsaufgabe, Welche Alleinstellungsmerkmale können wir in unsere nächste Bewerbung einbauen?
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Kompaktwissen Ideenfindung
von Graham Horton

Disruptive Technologien sind solche, die zu disruptiven Innovationen führen. Sie stellen den Marktführer vor ein Innovator’s Dilemma, das er im ungünstigsten Fall nicht überlebt.
Vergangenheit
Einige Technologien, die in der Vergangenheit alte Geschäftsmodelle und Berufe verdrängt haben:
- Die Dampfmaschine ermöglichte unter anderem die Eisenbahn und die Industrielle Revolution.
- Die Glühlampe macht elektrische Beleuchtung allgemein verfügbar und die Gasbeleuchtung überflüssig.
- Der Verbrennungsmotor ermöglichte unter anderem das Automobil und das Flugzeug.
- Die MP3-Kodierung und andere Komprimierungsalgorithmen die effiziente Speicherung und Übertragung von Medieninhalten.
- Der Mikroprozessor ermöglichte den PC und die Automatisierung.
- Der Transistor ermöglichte eine Vielzahl elektronischer Produkte wie das Taschenradio, das den Aufstieg von Sony ermöglichte.
- Der Webstuhl veränderte die Textilindustrie: Die Preise stürzten, die Produktivität stieg rapide, und Heimarbeit wurde durch Fabrikarbeit ersetzt.
- Das Fließband erhöhte die industrielle Produktivität erheblich. Durch den Einführung bei Ford wurde ein Automobil – das bisher ein Luxusgut war – für eine breite sozale Schicht erreichbar.
Gegenwart
Aktuelle Technologien, die disruptive Innovationen bereits ausgelöst haben:
- Das Internet verändert eine große Zahl von Branchen, unter anderem in den Medien und im Einzelhandel.
- Das LCD macht Flachbildschirme für Fernseher und Computeranzeigen möglich.
- Das GPS hat viele neue Anwendungen ermöglicht und alte Produkte überflüssig gemacht.
- Smartphones haben schon viele Produkte ersetzt; Kaum jemand braucht heute noch beispielsweise einen Kompass oder ein Diktiergerät.
- Das LED wird in vielen Beleuchtungsanwendungen Einzug finden. Lichtausbeute und Lebensdauer von LEDs sind um ein Vielfaches besser als Glühlampen und Halogenlampen. Weil sie kaum Wärme entwickeln und schnell ansteuerbar sind, kommen neue, bisher nicht bekannte Anwendungen hinzu.
Zukunft
Neue Technologien, deren disruptives Innovationspotential sich noch nicht voll entfaltet hat:
- 3D-Drucker werden viele Bereiche der Produktion verändern. Anstatt wie heute eine Schüssel zu kaufen, die in einer Fabrik hergestellt wurde, bezahle ich für die Nutzung eines attraktiven Designs, das ich in meinen 3D-Drucker zu Hause eingebe.
- Das Mobile Internet wird viele heute noch existierende Geschäftsmodelle verändern. Kreditkarten werden zum Beispiel nicht mehr benötigt, wenn die sichere Bezahlung mit dem Smartphone möglich wird.
- Roboter werden Fähigkeiten haben, die viele neue Anwendungen ermöglichen, zum Beispiel in der Chirurgie.
- Autonome Fahrzeuge werden Verkehr und Logistik transformieren. Möglicherweise entfallen in Zukunft viele Berufe wie Pilot, Zugführer oder LKW-Fahrer.
- Energiespeicher werden die Energieversorgung erleichtern für die 1,2 Milliarden Menschen, die derzeit keine haben.
- Cloud Computing wird große Bereiche der Informationstechnologie einverleiben. Schon jetzt ist es für ein Unternehmen drei Mal billiger, einen Cloud-Dienst zu benutzen als einen eigenen Server zu betreiben.
von Graham Horton

Radios, Röhren und RCA

Radiogerät mit Röhren
In den 1950er Jahren waren private Radios große, schwere Geräte in einem Holzgehäuse, die im Wohnzimmer auf einem eigenen Tisch oder im Schrank standen. Sie waren auch teuer – nur Ehepaare ab einem mittleren Einkommen konnten sich eins leisten. Entscheidend für die Qualität waren die Sensitivität, um weit entfernte Sender empfangen zu können und die Klangqualität, die mit großen Lautsprechern realisiert wurde.
Zu den Marktführern in USA zählte zu dieser Zeit die Radio Corporation of America (RCA) aus New York. RCA betrieb auch Fernseh- und Radiosender, einen Schallplattenverlag und viele weitere Geschäfte in der Medienbranche.

Röhre
Empfangsteil und Verstärker in diesen Geräten wurden mit Vakuumröhren realisiert. Diese waren komplizierte Bauteile, die viel Platz und Energie brauchten, sie wurden mehrere Hundert Grad heiß und waren anfällig für Erschütterungen. Vakuumröhren waren auch wenig zuverlässig und mussten oft ersetzt werden. Der Vertrieb der Radios lief hauptsächlich über Fachgeschäfte, die die entsprechenden Reparaturen durchführen konnten. Diese Reparaturen waren eine wichtige Einnahmequelle für die Fachhändler.
Es gab zu dieser Zeit zwar auch portable Radios, aber sie waren so groß wie ein kleiner Koffer und brauchten drei verschiedene, schwere Batterien, die nicht wieder aufgeladen werden konnten.
Sony und der TR-63

Transistor
Der Transistor war 1947 von Bill Schockley erfunden worden, wofür er neun Jahre später den Nobelpreis für Physik erhielt. Dieser Halbleiterbauteil konnte die gleichen elektrotechnischen Funktionen wie die Vakuumröhre erfüllen, hatte aber eine Reihe von Vorteilen: er war wesentlich kleiner, brauchte weniger Strom, wurde nicht heiß und ging praktisch nie kaputt. 1954 wurde das erste kommerziell erhältliche Transistorradio von Texas Instruments eingeführt.

Sony TR63
1957 führte das japanische Unternehmen Tokyo Tsushin Kogyo unter dem Markennamen Sony das Transistorradio TR-63 in den USA ein. Dieses Gerät wurde mit einer kleinen 9V-Batterie betrieben und passte laut Werbung in die Brusttasche eines Hemdes. (Das Unternehmen hat aber angeblich Hemden mit extragroßen Taschen für seine Vertriebsmitarbeiter anfertigen lassen!)
Der TR-63 kostete nur 39$ (etwa 330$ in heutigen Preisen). Die Zielgruppe für das Produkt waren nicht Ehepaare, sondern Teenager. Dies war die Zeit von Elvis Presley und Rock ’n Roll – junge Menschen wollten diese Musik hören, was die empörten Eltern zu Hause aber nicht erlaubten. Außerdem wollten sie sich weit weg von zu Hause treffen und unter sich sein. Durch seine Portabilität und seinen günstigen Kaufpreis wurde der TR-63 schnell zu einem großen Verkaufserfolg: Schon im ersten Jahr wurden mehr als 100.000 Stück davon verkauft. Wegen dieses Erfolges änderte Tokyo Tsushin Kogyo seinen Namen 1958 zu Sony.
Die Reaktion von RCA

Nuvistor
Wie hat der Marktführer RCA auf den Erfolg des neuen Konkurrenten reagiert? Er ist weder zur neuen Technologie gewechselt noch hat er ein Angebot für Teenager entwickelt. Stattdessen hat er die Vakuumröhre verkleinert. 1959 hat er den Nuvistor, eine miniaturisierte Version der Vakuumröhre eingeführt. Der Nuvistor hatte aber kein langes Leben: Die Vorteile der Halbleiterkomponenten waren einfach zu groß.
Sony dagegen hat viele weitere, immer wieder verbesserte Radiomodelle auf den Markt gebracht und den Preis gesenkt. Dadurch das Unternehmen immer größere Marktanteile erobert und angefangen, Fernseher und andere Unterhaltungselektronik zu produzieren. Für RCA dagegen begann ein langsamer Niedergang; schließlich wurde das Unternehmen zerschlagen und die Marke an fremde Firmen verkauft.
Die Entscheidung, nicht zur neuen, verbesserten Technologie zu wechseln und neue, aufstrebende Zielgruppen zu ignorieren erscheint aus heutiger Sicht wenig nachvollziehbar. Tatsächlich sind die Gründe aber bekannt und nachvollziehbar:
- Sony wurde nicht als Bedrohung wahrgenommen: das Unternehmen war zu dem Zeitpunkt in USA unbekannt, und japanische Unternehmen hatten keinen Ruf für technologische Produkte.
- Die Zielgruppe für die kleinen Transistorradios war eine ganz andere als die der Wohnzimmergeräte. Die jungen Menschen hatten auch weniger Geld als ihre Eltern, und entsprechend waren die für Sony erzielbaren Gewinnmargen dünner als die, die bei RCA üblich.
- Das Werteversprechen der Röhrengeräte war hauptsächlich ihre hohe Klangqualität; die 9 Volt-Taschenradios mit ihren kleinen Lautsprechern konnten damit nicht mithalten. Darin wurde RCA in ihrer Position von der Fachpresse bestärkt, die die schlechte Klangqualität der Taschenradios bemängelte.
- Schließlich war RCA Geisel ihres eigenen Vertriebsnetzes: Die Fachhändler, die die Geräte verkauften, verdienten auch gut mit der Reparatur und dem Ersatzteilgeschäft der anfälligen Vakuumröhren. Transistoren dagegen gingen so gut wie nie kaputt; Der Wechsel der Technologie hätte also für die Händler schmerzhafte Einkommenseinbüße bedeutet, und sie hätten großen Widerstand gegen ihre Einführung ausgeübt. Sony dagegen verkaufte seine Geräte über Supermarktketten wie Woolworths, für die sie eine willkommene Erweiterung des Warenangebotes darstellten.
Die Geschichte wiederholt sich
Die Geschichte von RCA ist kein Einzelfall – sowohl davor als auch danach haben etablierte Marktführer das Erscheinen eines neuen Wettbewerbers mit einem scheinbar irrelevanten Produkt ignoriert, was ihnen früher oder später zum Verhängnis geworden ist. Die Zwickmühle, in der RCA Ende der 1950er Jahre steckte, wird heute Innovator’s Dilemma genannt, und die Halbleitertechnologie wird als disruptiv bezeichnet, weil sie einen ganzen Markt verändert. Beide Begriffe stammen aus dem erfolgreichen Buch The Innovator’s Dilemma des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Clayton Christensen, der auch das Konzept der disruptiven Innovation eingeführt hat.
Die Moral der Geschichte ist, dass Unternehmen dazu bereit (und auch dazu imstande) sein müssen, ihren eigenen Angeboten Konkurrenz zu machen, wenn eine neue Technologie oder eine neue Marktsituation es nahelegt. Die Skeptiker in den eigenen Reihen protestieren typischerweise mit dem Argument, Damit kannibalisieren wir uns selber! Das Gegenargument dazu lautet, Das stimmt, aber wenn wir es nicht tun, macht es ein anderer. Das neue Angebot sollte so weit wie möglich von dem alten getrennt geführt werden, um die sonst unausweichlichen innerbetrieblichen Konflikte zu vermeiden. Die Problematik und mögliche Lösungen werden im Innovator’s Dilemma und seinem Nachfolger The Innovator’s Solution ausführlich beschrieben.
Bildquellen
Titelbild: John Oxley Library, State Library of Queensland Neg: 64345
Transistor und Nuvistor: Wikipedia
von Graham Horton

Akt 1: Die Vorgeschichte
Stellen Sie sich vor, Sie haben die Verantwortung für Innovation in einem Unternehmen. Vielleicht sind Sie Innovationsmanager oder sogar Geschäftsführer. Sie haben ein gewisses Budget, das Sie für Produktinnovationen ausgeben können. Eines Tages melden sich zwei Kollegen bei Ihnen an, weil sie ihre neue Produktideen vorstellen wollen.
Akt 2: Die erste Idee
Der erste Kollege hat eine Idee, mit der Ihr derzeit erfolgreichstes Produkt weiter verbessert werden kann. Der Kollege berichtet, dass der Nutzen dieses Produktes für Stammkunden durch diese Verbesserung nachweislich gesteigert wird, und dass manche von ihnen sogar schon danach gefragt haben. Ihr Unternehmen könnte also dadurch bei einem wichtigen Kaufkriterium einen Vorsprung vor der Konkurrenz erarbeiten.
Die Entwicklungsabteilung meldet, dass sie sich dazu imstande sieht, die Neuerung mit überschaubarem Aufwand serienreif zu bekommen, und der Vertrieb glaubt, das verbesserte Produkt zu einem Premium-Preis an die Stammkunden verkaufen zu können.
Akt 3: Die zweite Idee
Der zweite Kollege präsentiert seine Idee für ein völlig neuartiges Produkt. Der Markt dafür wäre für Ihr Unternehmen neu: Es hat bisher keine Marketingerfahrung dort, und Ihre Vertriebskanäle eignen sich nicht, um die neue Zielgruppe zu erreichen. Das Produkt ist in allen Dimensionen schwach, die in Ihrem bisherigen Markt wichtig sind, und seine Stärke interessiert Ihre wichtigsten Kunden nicht.
Um ein serienreifes Produkt zu bekommen, müsste die Entwicklungsabteilung neue, unbekannte Komponenten oder Prozesse einsetzen. Schließlich ist der vermutete Markt für das neue Produkt kleiner oder weniger wohlhabend als Ihr bisheriger Markt, sodass sich mit dem neuen Produkt geringere Gewinnmargen zu erwarten sind, als es Ihr Unternehmen bisher gewohnt war.
Akt 4: Das Dilemma
Es sind nur genug Mittel verfügbar, um eines dieser beiden Entwicklungsprojekte zu finanzieren. Für welche Idee entscheiden Sie sich?
Hintergrund
Dies ist das berühmte Innovator’s Dilemma, das Clayton Christensen 1997 mit seinem gleichnamigen Buch eingeführt hat. Unternehmen müssen sich nach den Wünschen ihrer Kunden richten und ihr Gewinn maximieren. Je besser das Unternehmen geführt wird, desto konsequenter richten sich alle Entscheidungen nach diesen zwei Geboten.
Dies kann aber ironischerweise dazu führen, dass es ausgerechnet die erfolgreichsten Unternehmen sind, die am ehesten auf diese Weise zu Geiseln ihres Marktes werden. Wer Marktführer ist, hat die Werte verinnerlicht, die ihn in diese Spitzenposition gebracht haben. Er ist betrebt, diese Werte noch weiter auszubauen: Schneller, leistungsfähiger oder komfortabler muss das Produkt werden, um anspruchsvolle Kunden zu befriedigen und sich von der bisherigen Konkurrenz (die ja die gleichen Eigenschaften versucht, zu verbessern) abzuheben.
Diese Blindheit oder Unbeweglichkeit des etablierten Marktführers ist genau die Gelegenheit, die Startups und Quereinsteiger nutzen, um mit einer neuartigen Lösung den Markt zu erobern. Sie beginnen in einer Nische, die vom Marktführer nicht beachtet wird und schaffen dafür ein optimiertes Produkt. Nachdem sie sich dort etabliert haben, beginnen sie mit der Ausdehnung in benachbarte Segmente, bis sie eine beherrschende Marktstellung erreicht haben.
In Wirklichkeit ist die Situation sogar noch schlimmer als beim Innovator’s Dilemma, so wie wir sie in dieser kleinen Geschichte präsentieren: In der Praxis wird die zweite Idee vom Unternehmen oft nicht einmal erkannt, weil sie den selbstverständlichen Werten der Branche nicht entspricht. Aus diesem Grund kommt es nicht einmal zu einem Dilemma, weil die zweite Alternative schlicht nicht wahrgenommen wird.
Diese Geschichte ist zwar frei erfunden, aber die Situation ist echt: Es gibt viele Beispiele für disruptive Innovationen und für Unternehmen, die sich auf die Verfeinerung ihrer Produkte konzentriert haben, neue Möglichkeiten falsch eingeschätzt oder ignoriert haben und später daran zugrunde gingen. Es waren nicht die Buchverlage, die Amazon gegründet und nicht die Musikverlage, die iTunes erfunden haben. Die Einführung des Transistorradios in USA, die für die Radio Corporation of America der Beginn des Niedergangs und gleichzeitig für den Branchenneuling Sony der Beginn des Aufstiegs war, ist eines der bekanntesten Beispiele dieser Art.